416 Tage später

Das komplette Team der 37. Überwinterung. Foto: Tim Heitland
Das komplette Team der 37. Überwinterung. Foto: Tim Heitland

416 Tage später. 416 Tage Antarktis. 416 Tage, seitdem wir mit dem russischen Transportflugzeug, der Iljuschin, sanft auf diesem Kontinent gelandet sind. Eine lange Zeit. Eine schöne Zeit. Weit mehr als ein Jahr. Und damit sozusagen: „Einmal das ganze Programm“.

Was bleibt?
Es bleibt die Erinnerung an Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter. An Sonne, Sturm, Schnee und Eis. An viel Schnee und viel Eis. An große Pinguine, kleine Pinguine, keine Pinguine. An Kälte, große Kälte, wirklich große Kälte, dann wieder nur Kälte. An Licht und Dunkelheit. Es bleibt die Erinnerung an mehr als ein Jahr in dieser einzigartigen Natur, an diesen wunderbaren Ort, über den Alfred Wegener sagte: „…hier gewinnt das Leben Inhalt. Mögen Schwächlinge daheimbleiben und alle Theorien der Welt auswendig lernen, hier draußen Auge in Auge der Natur gegenüberstehen und seinen Scharfsinn an ihren Rätseln erproben, das gibt dem Leben einen ganz ungeahnten Inhalt“. Und Recht hatte er. Gut, ich würde nicht behaupten, dass die Daheimgebliebenen Schwächlinge sind. Auch hätten wir nicht genügend Platz für alle, in der Station. Aber die Sache mit dem Inhalt, der schließe ich mich an. Das Leben findet hier auch heute noch einen Inhalt. Einen sinnvollen, wichtigen, bereichernden Inhalt.

Man muß nur genau hinsehen. Ein Schneesturmvogel über der Atka Bucht. Foto: Tim Heitland
Man muß nur genau hinsehen. Ein Schneesturmvogel über der Atka Bucht. Foto: Tim Heitland

Dann das Team. Natürlich. Das Team wird ebenfalls bleiben. Nicht nur als Erinnerung. An einem Ort wie diesem wächst man zusammen, ist aufeinander angewiesen und ohne einander verloren. Ohne das Team wäre das alles hier nicht möglich. Natürlich kann man auch alleine eine Menge erreichen. Den Mount Everest besteigen, um die Welt segeln oder Grönland durchqueren. Aber dauerhaft und sinnvoll Forschung in der Antarktis betreiben? Das nicht. Was bleibt, ist auch diesbezüglich eine Menge ge- und erlebte Erkenntnis. Dass jedes Team aus Individuen besteht. Dass diese Individualität eine Stärke ist und keine Schwäche. Wenn man das Miteinander pflegt und die Kommunikation. Wenn man Akzeptanz, Respekt und Wohlwollen aufbringt. Sich in Rücksichtnahme, Nachsicht und Aufmerksamkeit übt. Universelle Werte. Und ich hatte das große Glück, Teil eines absolut wunderbaren Teams sein zu dürfen, das genau dies gemeinsam getan hat. Auch dieses Gefühl wird bleiben. Und ich wünsche allen, ähnliches erleben zu dürfen, an welchem Ort auch immer.

Das Team nach der Überwinterung. Foto: ÜWIs 2017
Das Team nach der Überwinterung. Foto: ÜWIs 2017

Alles hat seine Zeit. In der Atkabucht ist das Meereis aufgebrochen, die Pinguine sind zur Nahrungssuche nach Norden gezogen und auch unser Aufenthalt hier geht zu Ende.

Irgendwann geht alles ganz schnell. Das Meereis ist aufgebrochen und treibt im Südwind davon. Foto: Tim Heitland
Irgendwann geht alles ganz schnell. Das Meereis ist aufgebrochen und treibt im Südwind davon. Foto: Tim Heitland

Deshalb ist dies auch mein letzter Beitrag für den AtkaExpress. Mein Anliegen war es, während dieser Überwinterung einmal weniger über den objektiven Teil, technische Inhalte und Wissenschaftliches zu berichten, als vielmehr das Lebensgefühl und die subjektiven Erlebnisse wiederzugeben. Um allen, die nicht selbst hierher kommen können, eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie es ist, hier zu arbeiten und zu leben. Ich hoffe, dass dies gelungen ist, und ich bedanke mich auf diesem Wege für die virtuelle Begleitung im letzten Jahr.

Blick über die offene Bucht nach Norden. 4410 km hinter den Eisbergen liegt Kapstadt. Foto: Tim Heitland
Blick über die offene Bucht nach Norden. 4410 km hinter den Eisbergen liegt Kapstadt. Foto: Tim Heitland

Wir gehen voller Erlebnisse mit einem kleinen weinenden und einem großen lachenden Auge. Mit Stolz auf die geleistete Arbeit. Mit Freude wieder bei unseren Familien und Freunden sein zu können. Mit Neugierde auf die Welt und mit Begeisterung über die Aussicht auf permanent verfügbare Kirschtomaten.

Das 37. Überwinterungsteam meldet sich ab, das 38. Überwinterungsteam übernimmt und wird auch weiterhin Nachrichten aus dem tiefen Süden liefern. Ihnen hier vor Ort und den Lesern in aller Welt wünsche ich: Alles Gute!

Foto: Tim Heitland
Foto: Tim Heitland

Leser:innenkommentare (3)

  1. Ute Merl

    Vielen Dank für diesen tollen Abschlussbericht. Ich habe jeden dieser doch oft poetischen Berichte sehr genossen und wünsche Euch allen eine gute Zeit, bleibende Eindrücke und Freundschaften auch nach der Erfahrung 37. Überwinterung .
    Viele Grüße aus Bretten
    Ute Merl

  2. Reiner Gerke

    Auch ich habe mich über diesen Blog sehr gefreut. Blogs, die so’n büschen neben dem Wissenschaftlichen und Technischen liegen, interessieren mich besonders. Wie gehen die Üwis mit den Mucken und Eigenheiten der anderen um, die Krisen im Team, die unausbleiblich sind, mit der Polarnacht und dem Polartag? Und manchmal denke ich ganz egoistisch, kann jetzt bitte noch mal einer einen Blog schreiben. Aber dann ist die Freude groß, wenn es was neues gibt. Also vielen Dank für Eure Arbeit mit den Blogs.
    Viele Grüße aus Bayern
    Reiner Gerke

  3. Patrick

    Vielen vielen Dank für die tollen persönlich und subjektiv geschilderten Berichte aus der Eiswelt.
    Hier ist es nicht annähernd so intensiv rau und kalt, dennoch habe ich mich ganz schön erkältet und liege nun bei einer Tasse Tee im warmen Bett und darf dank der modernen Kommunikationstechnik solch wunderbare Berichte aus sicherer Entfernung verfolgen. Ich danke allen für die wissenschaftliche Arbeit und für die Eindrücke, die uns Lesern hier vermittelt werden. In dem Sinne keep cool.

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