Die letzte Tafel Schokolade

Schokolade ist derzeit eine besonders begehrte Ware an der Neumayer-Station III. Foto: Alexander Stein CC0, Pixabay

Seit etwa zwei Wochen gibt es auf der Neumayer-Station keine Schokolade mehr. Davor gab es schon nur noch Zartbitterschokolade und Weihnachtsmänner. Erst waren die Weihnachtsmänner aus, dann die Zartbitterschokolade. Die Situation ist angespannt, die Nerven liegen blank. Gummibärchen, Chips und Kekse sind noch da, können aber die Gier nach Schokolade nicht übertünchen, schon gar nicht stillen. Die ersten Mangelerscheinungen sind aufgetreten und es wird auf Surrogate zurückgegriffen, um den Zustand einigermaßen erträglich zu halten. Schokoladeneis und Kakao gibt es noch. Die Milch geht jedoch langsam zur Neige und verschärft die Lage zusätzlich. Bald wird ein Schiff kommen und in seinem Bauch wird es den Vorrat für ein weiteres Jahr tragen. Aber Wind, Wellen und Eis hindern es in seinem Vorankommen. Seine Ankunft verzögert sich etwas.
Die letzten geheimen Schokoladen-Vorräte werden sorgfältig verborgen. Als die mögliche Existenz einer Edel-Schokolade bekannt wurde, blitze Mordlust in den Augen meiner einstigen Freunde. Ich halte sie versteckt. Ich teile sie nicht. Nie in meinem Leben habe ich es geschafft, eine Tafel nicht am Stück zu essen. Jetzt allerdings esse ich jeden Tag nur ein winziges Stückchen. Ziehe mich zurück. Blende meine Umgebung aus. Es gibt nur noch dieses Stückchen Schokolade, das langsam auf der Zunge zerfließt. Vollmilch. Mit einem Kern aus dunklem Mouse. Ich kaue es nicht. Nur ganz leicht knacke ich die Vollmilchhülle und lasse das Innere zergehen. Ich lasse mich ganz erfüllen von dem kräftigen schokoladigen Geschmack und vergesse glücklich die Welt um mich herum.

Es sind nur noch vier Stückchen übrig.

Tanja Fromm, wissenschaftliche Koordinatorin der Neumayer-Station III 

Leser:innenkommentare (9)

  1. Markus Eser

    Liebe Tanja, ich kann dich gut verstehen! Wie konnte es zu dieser Situation kommen. Unfassbar… Bei uns war manche Schokolade nicht mehr so begehrt nachdem das MHD schon ein wenig ;-) überschritten war und daher leichte Geschmackseinbußen bemerkbar waren. Auch deswegen hielt der Vorrat bei uns bis zum Schluss.

    Aber das Euch jetzt dieses Malheur passiert ist, ist wirklich an Tragik kaum zu überbieten. Aber Rettung naht ja am Mittwoch wie ich erfuhr. Und sicher wird es möglich sein bei der PS-Besatzung ein „First Aid-Survival“-Paket zu organisieren noch bevor ein Container den Schiffsbauch verlassen konnte. Wenn das jemand schaffen kann, dann bist Du es. Ganz sicher!

    Ich wünsch dir für dieses komplizierte Unterfangen alles Glück der Antarktis. Und außerdem Dir und der ganzen NMIII Besatzung noch ein erfolgreiches und gutes neues Jahr!

    LG Markus (35. Üwi-Team)

  2. Reiner Gerke

    Hahaha, diese Versorgungslücken können bei uns Landratten nicht vorkommen. Es sei denn, man verordnet sich nach den Feiertagen so etwas wie vorgezogene Fastentage.Ich meine, Ihr habt keine Schokolade, da ist es psychologisch einfacher, mit dem Mangel auszukommen. Es gibt keine, basta. Ich bräuchte nur über die Straße zu gehen und könnte mir einen ganzen Sack voll Schokolade kaufen, jeden Tag, alles zum halben Preis. Ich habe keinen Mangel, nur gute Vorsätze. Glaube mir, Tanja, psychologisch ist mein Leiden viel größer. Aber ich gehe selbstbewusst und siegessicher an den Ständen vorbei und freue mich, dass ich mich wieder besiegt habe. Nur der frische Krapfen mit Zuckerguss und der Füllung aus Erdbeer-Limes, der musste mit. Als Belohnung für den Schoko-Verzicht.
    Einen schönen antarktischen Sommer wünscht Dir und Deinen Leidensgenossen
    Reiner Gerke, Zorneding
    P.S. Und denke an Lale Andersen, weisst schon: Ein Schiff wird kommen …

  3. Jens

    Hallo Tanja,

    Grüße aus der alten Heimat. Jana und ich haben sehr viel Schoki, viel zu viel Schoki.

    Wenn Du das nächste Mal bei uns bist, bekommst Du welche. Versprochen.

    Grüße

    Jens

  4. Spiegelauge 2017-01: #NeumayerSchoki und ein esoterischer Jahresauftakt - Augenspiegel

    […] die Forscher auf der Antarktis-Station Neumayer III von einer dramatischen Entwicklung: Die Schokolade ging zur Neige! Auf Twitter riefen wir dazu auf, als Geste der Unterstützung wenigstens Bilder von Süßigkeiten […]

  5. Tanja Fromm

    Hoechst erfreut kann ich vermelden: Der Schoki-Notstand ist beendet! Polarstern war da und hat uns mit allem noetigen fuer den naechsten Winter versorgt. Jetzt heisst es auch fuer uns wieder: Stark sein am Schoki-Regal. (Und unsere Freunde bleiben unsere Freunde.)

    Liebe Gruesse
    Tanja

    1. kai damm

      Den Göttern sei’s gedankt und getrommelt ! Alptraumhafte Szenarien entspannen sich vor meinem inneren Auge…

  6. Holger Tüchsen

    Moin Tanja, schicke doch noch eine Mail an die Logistiker, damit sie noch eine Survival Box voller Schokolade von Kapstadt aus mit der Dromlan Maschine zu dir schicken. 😊
    Gruß, Holger Tüchsen (Bekleidungslager)

  7. Andreas Walter

    LOL, sehr lustig und spannend, überzeugend und dramatisch geschrieben (beschrieben), Frau Fromm.

    Grüsse aus Deutschland an einen Ort, der auch heute noch sehr unwirtlich aber faszinierend ist.

    Das wurde mir erst vorhin so richtig klar, wo Ihr da seid, als ich mir Filme von 1938/39, 1946 und heute angesehen habe. Seit wann weiß man eigentlich, dass es auch Uran und Kohle (Erdöl? Erdgas?) in der Antarktis gibt?

    Bleibt mir daher gesund und weiter viel Erfolg beim Forschen.

    https://www.youtube.com/watch?v=HSr_MHUwzOc

    https://www.youtube.com/watch?v=EULc7RgnM4c

    Ein gesegnetes Osterfest auch euch darum in der Antarktis.

  8. Marion Haase

    Bei Euch könnte ich nicht arbeiten. Wenn nicht mal die „Grundnahrungsmittel“ ausreichend vorhanden sind. (Spaß) Der Beitrag war köstlich. LG MARION Haase

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