Lieber Atka-Leser,
im Gebiet der Neumayer-Station gibt es zwei Orte, an denen vier mal vier Alustangen in den Schneeboden gesteckt sind. Diese Felder dienen dazu, den Zuwachs und die Abtragung von Schnee zu erfassen, um Aussagen über den Schnee-Zutrag zu treffen. Eines befindet sich hinter dem Spurenstoffobservatorium (Spuso), etwa 1,8 Kilometer südlich der Neumayer-Station. Das andere liegt ca. 7 Kilometer gen Westen.
Während das Pegelfeld hinter der Spuso von unserer Luftchemikerin Bettina alleine überwacht werden kann, benötigt sie für das Pegelfeld-Süd eine zweite Person. Dies ist deshalb nötig, weil das Pegelfeld-Süd zu weit von der Station entfernt ist und wir zur Sicherheit immer zu zweit sein müssen, wenn wir das Stationsgelände im Umkreis von 1,5 Kilometer verlassen.
Die zweite Person ist glücklicherweise meistens Elke, die Meteorologin. Sie freut sich immer riesig, die Station mal von der anderen Seite zu sehen – tummelt sie sich doch meistens im Südosten der Station, im Messfeld herum. Und manchmal kommt noch jemand mit, der einfach mal frische Luft schnappen will und dann auch gleich mitanpacken darf. Oder unsere Geophysiker übernehmen die Messung der Schneehöhe, wenn sie auf ihrer IS-Routine am Pegelfeld-Süd vorbeikommen.
Das Spuso-Pegelfeld müssen wir zu Fuß ansteuern wegen dessen unmittelbarer Nähe zum Spurenstoffobservatorium. Zum Pegelfeld-Süd hingegen werden die Skidoos gesattelt, mit denen wir dann gen Westen düsen. Warum das Pegelfeld-Süd „Pegelfeld-Süd“ heißt und im Westen liegt, ist ganz einfach zu erklären: Bei dessen Aufbau war es ursprünglich 15 Kilometer südlich der alten Station, der Georg-von-Neumayer Station, gelegen. Nachdem nun im Jahr 2009 die neue Station Neumayer III aufgebaut wurde, blieb der Standort des Pegelfeld-Süds bestehen und ebenso dessen Name.
Weil die Meteorologin Elke mit von der Partie ist, muss natürlich wieder alles zeitlich gut geplant sein, da alle drei Stunden die synoptische Wetterbeobachtung (mundartlich: der „Obs“) für den Deutschen Wetterdienst ansteht. So hat es sich eingebürgert, dass wir nach stürmischen Tagen mit Drift und Schneefall einen schönen windarmen und driftlosen Nachmittag aussuchen und zwischen der Sondenauswertung des Wetterballons gegen 13 Uhr (UTC) und der synoptischen Beobachtung um 15 Uhr (UTC) das Pegelfeld-Süd besuchen. An anderen Tagen hat es einfach keinen Sinn Messungen vorzunehmen, da die Drift die Werte sofort wieder verändert.
Die Station im Rücken fahren wir – orientierend an GPS-Geräten – mit zwei Skidoos und einem Schlitten plus einer Notfall-Überlebenskiste in die weiße flache Landschaft hinein, bis irgendwann eine Bambusstange mit schwarzer Flagge aus dem Nichts auftaucht. Die schwarze Flagge ist eine Orientierungshilfe und markiert die gespeicherten GPS-Koordinaten. Die silbernen Alustangen sieht man meistens erst, wenn man direkt davor steht. Am Pegelfeld angekommen, beginnt eine für den Außenstehenden vielleicht etwas merkwürdig anmutende Prozedur.
Bettina geht mit dem Zollstock voraus, legt diesen direkt an die jeweilige Alustange an und nennt mir die Höhe der frei aus dem Schnee ragenden Stange. Elke stapft mit kleinem Büchlein und Bleistift bewaffnet hinter Bettina hinterher, darauf achtend, Bettinas Spuren zu folgen und genau in ihre Fußstapfen zu treten. Das ist wichtig, damit innerhalb des Pegelfelds nicht zu viel Schneeoberfläche zerstört wird und sich der Schnee eventuell unnatürlich ansammelt. Das kann manchmal ein ganz schöner Balanceakt sein. Nach dem Erfassen einer Reihe müssen wir einen großen Sprung machen, um bei minimalem Einfluss auf das Schneefeld zur nächsten Stangenreihe zu gelangen. Zu zweit geht das ganz fix. Verschwinden die Stangen allerdings im Laufe des Jahres zu sehr im Schnee, müssen sie hochgesetzt werden. Da ist dann schon mehr Körpereinsatz gefragt. Zuerst müssen wir die meist sehr festgefrorenen Alustangen locker machen, damit wir sie aus dem Eis ziehen können. Das machen wir entweder ähnlich wie King Kong am Empire State Building mit unserem Körpergewicht oder mit einem Hammer. Das entstandene Loch füllen wir mit Schnee, bis die Stange wieder etwa knie-tief darin verschwindet. Dann wird alles festgestampft, glattgemacht und die neue Ausgangshöhe der Stangen bestimmt. Voilà! Das Gleiche gilt natürlich auch für das Pegelfeld hinter der Spuso.
Wir genießen danach noch kurz die Sonne oder im Winter die Dämmerung, wie auch die Landschaft und die Ruhe. Bei starken Temperaturinversionen, also wenn die Temperatur nicht normal mit der Höhe abnimmt, sondern erst einmal zunimmt, dann flimmert die Luft in der Ferne und auf einmal kann man gespiegelte Eisberge sehen, die Schelfeiskante erscheint dann doppelt so hoch wie sonst und unsere Neumayer-Station gaukelt uns mindestens drei Stockwerke mehr vor.
Auf dem Rückweg, bevor wir die Rampe in unsere „unterirdische“ Schneegarage runter düsen, gucken wir dann genau in den Himmel, bestimmen Wolken, Sichtweite und checken Drift und Wetter für den „15-Uhr-Obs“. Nachdem die Skidoos und die Überlebenskiste abgestellt sind und wir die Treppen bis ins Büro der Meteorologin hoch gerannt sind, werden diese Informationen dann in Zahlen verschlüsselt, dem sogenannten FM12 Synop-Code, an den Wetterdienst gesendet.
Die Pegelfelddaten werden in die jeweilige Datenbank eingetragen und der durchschnittliche Zutrag an Schnee berechnet. Dieser kann sehr unterschiedlich sein: Je nachdem ob es viel geschneit oder gestürmt hat, kann etwas dazu oder wieder abgetragen worden sein. Seit Anfang Januar 2015 bis Anfang Oktober 2015 sind etwa 61 Zentimenter Schnee liegen geblieben. Seit Beginn der Pegelfeldmessungen gab es Jahre mit nur wenig Zutrag (etwa 30 cm) beziehungsweise Jahre mit bis zu 1,50 Meter Zutrag. Beide Pegelfelder unterscheiden sich im Moment nur wenige Millimeter. Manchmal hingegen beträgt dieser Unterschied Zehnzentimeter. Dies ist zum Teil den verschiedenen Zeiträumen geschuldet, in denen die Werte jeweils abgelesen werden. Das Pegelfeld-Spuso wird wöchentlich gemessen, das Pegelfeld-Süd hingegen alle 14 Tage. Aber auch die Lage beider Pegelfelder spielt eine Rolle, da die Wetterbedingungen an beiden Orten trotz ihrer scheinbaren Nähe sehr unterschiedlich sein können. Weil Schnee die häufigste Niederschlagsart an der Neumayer-Station III ist, kann er, über lange Zeiträume erfasst, Trends aufzeigen beziehungsweise auf mögliche Veränderungen im Antarktischen Klima hinweisen, weshalb seine Erfassung von großer Bedeutung ist.
Schöne Grüße,
Bettina & Elke
Hinterlasse einen Kommentar
Datenschutzhinweise: Wir speichern beim Kommentieren keine IP-Adressen, Sie können bei Name und E-Mailadresse gerne Pseudonyme verwenden. Weitere Informationen und Widerspruchsmöglichkeiten gibt es in unserer Datenschutzerklärung.