Kosmische Strahlen auf der Polarstern

10h morgens (UTC) auf ca. 2ºS und 10ºW, mitten im Atlantik. Ich sitze mit unserer Fahrtleiterin im Funker-Büro auf der Polarstern, dem größten deutschen Forschungsschiff. Über Satellit verbindet unser Kommunikationselektroniker mich mit meinem Heimat-Institut DESY in Zeuthen bei Berlin. Nach anfänglichen Problemen steht die Telefonverbindung, man kann mich hören. Und es geht los. Ich gebe eine Präsentation für Jugendliche aus aller Welt, die beim International Cosmic Day 2018 mitmachen und an diesem Tag forschen. Sie erfahren heute etwas über kosmische Strahlung und messen diese auch. Und was habe ich damit zu tun? Und die Polarstern? Und warum sind wir am Äquator, wenn das Schiff mit dem wunderbaren Namen eindeutig für Polarregionen gebaut wurde?

Ja, zwischen dem AWI in Bremerhaven und der deutschen Antarktis-Station Neumayer ist nun mal ziemlich viel Wasser, und eben der Äquator, wo wir gerade sind. Und auf der Polarstern fährt ein Detektor mit, um den ich mich auf der Fahrt von Bremerhaven nach Kapstadt kümmere. Dieser Detektor misst Myonen (das sind im Grunde schwere und instabile Elektronen), die bei Kollisionen von kosmischen Strahlen in der Atmosphäre entstehen. Da wir uns auf der Überfahrt von Nord nach Süd bewegen, ändert sich die Zählrate im Detektor, denn das Magnetfeld der Erde, durch das die kosmischen Strahlen durchdringen müssen, ändert seine Orientierung. Und kosmische Strahlen sind meistens Protonen, also geladen. Am Äquator werden sie eher abgelenkt, und wir zählen weniger Myonen. Und so schließt sich der Kreis, und ich messe kosmische Strahlen am Äquator auf einem Eisbrecher und teile mein Wissen mit den Wissenschaftlern von morgen aus aller Welt.

Mit diesem Foto haben wir Grüße an alle geschickt, die beim International Cosmic Day mitgemacht haben. Ja, unter den Freizeit- und Erholungsangeboten an Bord sind auch Liegestühle ;)

Sonst geht es auf dieser Überfahrt eher gemütlich zu, es sind nicht viele Wissenschaftler an Bord, ab Kapstadt wird es erst richtig voll, denn von dort geht es in die Antarktis und damit in ein Hauptforschungsgebiet der Polarstern. Aber heute war schon einiges los: Um 5:00 UTC hat meine Kollegin einen Wetterballon steigen lassen, denn um 6:00 UTC ist ein Satellit über uns hinweggeflogen, der Wind und Aerosole in der Atmosphäre misst. Und meine Kollegen hier messen dasselbe vom Schiff aus, und können ihre Daten mit denen vom nagelneuen Satelliten vergleichen. Um 8:30 war Wissenschaftlerbesprechung mit Wetterbericht. Ruhige See und 28º haben wir hier, beim DESY sind es -1º. Um 10:00 UTC war mein Auftritt. Und um 13:30 hatten wir Station, standen also still im Wasser. Dann wurde ein Depressor mit Umlenkrolle vom Arbeitsdeck mit einem großen Kran ins Meer gelassen und nach einiger Zeit wieder herausgeholt. Da standen wir natürlich in der prallen Mittagssonne auf dem Helikopter-Deck und haben zugeschaut, der Kapitän, die Fahrtleiterin, Wissenschaftler und Mannschaft (sofern sie nicht Schicht hatten). Und nach Plankton wurde im Anschluss auch noch gefischt, ein volles Programm! Es ist wunderbar, mit so vielen Wissenschaftlern aus so vielen und so unterschiedlichen Forschungsgebieten zusammen zu kommen und sich auszutauschen. So lerne ich jeden Tag etwas Neues und Interessantes, fernab von meinen kosmischen Strahlen. Danke DESY und AWI für diese tolle Erfahrung!

So, gleich gibt es Abendessen, es geht auf 17:30 zu. Heute Tortellini Gorgonzola, das wird sicher wieder richtig lecker! Ich bin zwar noch voll vom Käsekuchen vor 2 Stunden, aber die Tortellini will ich nicht missen. Das Essen an Bord ist so gut, ich sollte heute lieber noch den Fitnessraum aufsuchen, wenn ich in Kapstadt nicht von Bord rollen möchte. Vorher mache ich aber noch einen Abstecher auf Deck, vielleicht sehe ich ja fliegende Fische, auf jeden Fall die große Weite des Meeres und die schönen Häufchenwolken (“Cumulus humilis” höre ich meinen Meteorologie-Kollegen in meinem inneren Ohr schon sagen). Und mittlerweile sind die 28º mit tiefer stehender Sonne und Fahrtwind auch ganz angenehm.

Leser:innenkommentare (2)

  1. Hans

    Liebe Juliana,
    ich habe aus Deinem blog nicht verstanden, warum zur Begleitung eines einzigen Detektors 10 junge Wissenschaftler die Schiffsreise von Europa nach Südafrika machen (und dann heimwärts sicher fliegen) müssen? So ein Gerät kann doch im Zeitalter von Raumfahrt und IoT auch autonom arbeiten, sollte man denken. Und es ist ja auch nicht die erste Reise mit Personal aus Zeuthen!
    Dass das eine schöne Erfahrung ist, steht sicher außer Frage…

    1. Juliana Stachurska

      Lieber Hans,
      Es tut mir Leid, dass das aus meinem Beitrag nicht so leicht ersichtlich war. Um den Zeuthener Detektor habe nur ich mich gekümmert. Und ja, eigentlich arbeitet das Gerät autonom, aber ich war an Board, um die Datennahme und -qualität zu verbessern. Ich war auch die einzige Zeuthenerin auf dieser Überfahrt.
      Die anderen Wissenschaftler (17 waren wir insgesamt) hatten andere Aufgaben, die in den Bereichen Meeresbiologie (Plankton-Fischen), Meteorologie, Atmosphärenphysik (Messung von Aerosolen, Datenabgleich mit einem Aerosol-Satelliten), Bathymetrie (Vermessung des Meeresbodens), Atmosphärenbiologie, Logistik sowie Technologie-Erprobung lagen.
      Für den International Cosmic Day haben aber 10 von uns Grüße an die ganze Welt und alle jungen Forscher von morgen gesendet.

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