Kosmische Geschwister

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IceCube-170922A ist ein Neutrino, und zwar eines mit extrem viel Wumms. TXS 0506+056 ist ein Blazar: ein supermassives schwarzes Loch im Zentrum einer weit-entfernten aktiven Galaxie. Und diese Geschichte handelt davon wie das ganz Kleine und das ganz Große zusammenkommen und die halbe Wissenschaftswelt in helle Aufregung versetzt hat.

Alles beginnt mit TXS 0506+056 (nennen wir es liebevoll TXS). TXS ist ein System bestehend aus einem supermassiven schwarzen Loch und einem Ring aus Gas und Staub, welcher das schwarze Loch umkreist. Ab und zu wird ein Klumpen dieser Materie in das schwarze Loch gesogen und hinterher teilweise wieder in Form eines Strahlungs-Teilchen-Gemischs – eines so genannten „Jets“- ausgespuckt. Wir haben eine ungefähre Vorstellung davon wie dieses System aussieht – nämlich in etwa so:

Künstlerische Darstellung eines aktiven Galaxienkerns (Credit: DESY Science Communication Lab)

Vor über 4 Milliarden Jahren, als die Erde ein ziemlich unwirtlicher Lavabrocken war und unter schwerem Meteoriten-Beschuss lag, ist ein besonders großer Materieklumpen in das schwarze Loch in TXS gesaugt worden. In dem Jet, der sich daraus formierte, wurden anschließend winzige, subatomare Teilchen (Elektronen, Protonen und schwerere Atomkerne) beschleunigt. Die dabei erreichten Energien übersteigen das, was Menschen heutzutage im weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC schaffen, um das 100 bis 1000-fache. Und das schafft die Natur – also in diesem Fall TXS – einfach so. Ohne mit der Wimper zu zucken. Es braucht „nur“ einen Klumpen Gas und ein supermassives schwarzes Loch mit der millionen- bis milliardenfachen Masse unserer Sonne (Lächeln). Obwohl das alles schon recht aufregend ist, ist es doch nichts Ungewöhnliches. Schlappe 4 Milliarden Jahre später – so lange braucht nämlich das Licht von TXS zur Erde – hat sich auf einem kleinen Planeten namens Erde eine ganze Zivilisation entwickelt, darunter auch AstronomInnen, die regelmäßig genau solche Blazare wie TXS untersuchen und dabei immer wieder Ausbrüche in verschiedenen Wellenlängen des Lichts detektieren: von Radiowellen, über das sichtbare Licht, bis hin zur Röntgen- und Gammastrahlung. Das Licht ist dabei der „Bote“, mit dessen Hilfe wir untersuchen, wie sich Jets formieren und was in ihrem Inneren passiert. Aber jetzt kommt der Twist: Lichtteilchen sind nicht die einzigen Botenteilchen, die untersucht werden können. Es gibt noch drei andere, nämlich Neutrinos, Gravitationswellen und die kosmische Strahlung.

Schön nebeneinander aufgereiht sehen sie wie vier Geschwister aus:

Credit: GIPHY

Alle Vier haben ihre Eigenheiten, ihre Stärken und Schwächen. Die kosmische Strahlung besteht aus geladenen Atomkernen und erreicht die höchsten Energien. Leider kann sie sich nicht so gut konzentrieren und lässt sich auf ihrem Weg von einem kosmischen Beschleuniger zur Erde besonders gerne von Magnetfeldern ablenken. Lichtteilchen hingegen fliegen geradeaus und zeigen daher direkt auf ihren Ursprungsort zurück. Sie sind verhältnismäßig leicht nachzuweisen, können aber auf ihrem Weg zur Erde vernichtet werden. Keine so rosigen Aussichten. Und dann die Neutrinos. Diese sogenannten „Geisterteilchen“ gehen einfach so durch alles hindurch und wechselwirken in den seltensten Fällen. Prachtteilchen also – mit ihnen kann man bis in die Beschleuniger hineinschauen, direkt in einen explodierenden Stern zum Beispiel. Nachteil: siehe oben; sie lassen sich sehr schwer nachweisen. Am Besten nimmt man dazu einen riesigen Eiswürfel und stattet ihn mit Lichtsensoren aus. Anna hat das in ihrem Blogeintrag sehr schön beschrieben („Eiersandwich mit Neutrinos„).

Der Trick ist jetzt, dass man die guten Eigenschaften aller Boten (im Englischen „Messenger“) kombiniert („Multi-Messenger“) und versucht etwas über ihren Ursprung herauszufinden („Multimessenger Astronomy“). Ein Beispiel: Wir versuchen seit über 100 Jahren die Quellen der kosmischen Strahlung zu orten, haben aber bisher nur Vermutungen was ihre Beschleuniger sein könnten. Glücklicherweise beschleunigen Teilchenbeschleuniger nicht nur Teilchen (kosmische Strahlung). Sondern sie machen auch ne Menge anderen Lärm dabei. Es entstehen Neutrinos, es entstehen Licht-, Radio-, Röntgen- und Gammastrahlenblitze. Man muss also nicht unbedingt kosmische Strahlung nachweisen, um nachzuweisen, dass da ein Teilchenbeschleuniger ist. Am besten sieht man es vielleicht anhand dieser Zeichnung:

Darstellung verschiedener „Botenteilchen“. Credit: Juan Antonio Aguilar & Jamie Yang, IceCube/WIPAC

 

Aber zurück zu unserer Geschichte. Am 22.09.2017, kurz nachdem Eva auf Beobachtungsschicht war und ein Paar verschmelzender Neutronensterne mit den H.E.S.S. Teleskopen gejagt hat („Ping it like bunny„), ist es dann passiert. Die Sensoren im IceCube Detektor am Südpol haben ausgeschlagen und eine Spur im Eis gemessen. Das muss ein hochenergetisches Neutrino aus dem Kosmos gewesen sein! Das automatische Alarmsystem brauchte für die grobe Bestimmung der Richtung und Energie des Neutrinos nur 43 Sekunden, bevor es eine kurze Textnachricht über einen Iridium-Satellitenlink an ein weltweites Netzwerk an Teleskopen sendete. Die Nachricht, die die Partner bekommen haben sah nicht sehr spektakulär aus:

Die Originaldatei kann man hier finden.

Da eine Textnachricht nicht besonders anschaulich ist, kommt hier eine Darstellung, wie das Neutrinosignal in den optischen Lichtsensoren im Eis ausgesehen hat:

Ausschnitt aus der wissenschaftlichen Veröffentlichung im Science Magazin (DOI: 10.1126/science.aat1378).

Soweit so gewöhnlich, denn Benachrichtigungen wie diese von unseren Partner-Experimenten erreichen uns fast täglich. AstronomInnen auf der ganzen Welt haben Programme um Teleskope sehr schnell dahin auszurichten, wo solche astrophysikalischen Neutrinos herkommen. Innerhalb von 4 Stunden legten der Röntgensatellit Swift und die bodengebunden H.E.S.S. Gammastrahlungsteleskope in Namibia ihr Beobachtungsprogramm kurzfristig auf Eis und schauten in Richtung des Neutrinos. Sobald es Nacht ist in den USA und in Mexiko, folgten die VERITAS und HAWC Gammateleskope und am nächsten Tag optische Teleskope in Japan und das MAGIC Teleskopsystem auf La Palma. Die Lage beruhigt sich über die nächste Woche und alle WissenschaftlerInnen berichten in ihrem eigens erfundenen sozialen Medium, dem Astronomers Telegram, von ihren Resultaten.

Doch diesmal ist etwas anders. Gerade als es ruhig zu werden scheint, meldet die Fermi-LAT Kollaboration (Kollegen, die einen Gammastrahlungssatelliten im All betreiben) eine Woche nach Bekanntwerden des Alarms, dass sich innerhalb der Neutrino-Fehlerregion unser Freund TXS befindet. Und nicht nur das, es scheint als ob die aktive Galaxie schon seit April 2017 einen langanhaltenden und starken Gammastrahlungsausbruch erfährt. Passenderweise kamen die ersten Gerüchte bei einem Abendessen bei einem Transients-Meeting in Amsterdam auf. Bei diesem Treffen haben internationale ForscherInnen gerade diskutiert wie man Alarme zwischen verschiedenen Teleskopen noch besser versenden kann um schnellstmöglich interessante Phänomene nachbeobachten zu können. Nun kann man sich ungefähr vorstellen, wie die anwesenden WissenschaftlerInnen zwischen Vorspeise und Hauptgang auf ihren viel-zu-kleinen Smartphones probieren, Nachbeobachtungen zu starten, andere Kollegen informieren und angeregt diskutieren, was diese Beobachtung jetzt bedeutet. Es war ein sehr denkwürdiger Abend sag‘ ich Euch .

Sobald die inoffizielle Nachricht dann auch über das Astronomers Telegram offiziell gemacht wurde, haben Himmel und Menschen alles getan, um TXS zu beobachten und zu schauen, was es mit dem Gammastrahlungsausbruch nun so auf sich hat, wie weit die Galaxie entfernt ist, oder ob man sie auch in anderen Wellenlängenbereichen messen kann. Und tatsächlich, mit einer Woche Verzögerung haben dann auch die MAGIC Teleskope Gammastrahlen bei sehr hohen Energien von TXS gemessen. Nicht nur das, die Nachbeobachtungen mit Radio-, Röntgen- und anderen Teleskopen haben noch bis zu 2 Monate angehalten und auch in Zukunft wird man TXS weiter beobachten, um herauszufinden, warum gerade diese aktive Galaxie Neutrinos ausspuckt.

So sieht der Himmelsausschnitt von TXS aus, wenn man mehrere Boten kombiniert (DOI: 10.1126/science.aat1378).

Der Rest ist mehr oder weniger schnell erzählt. Wie man sich vorstellen kann, bedarf es eines gewissen Aufwands und guter Kommunikation, um die mehr als 1000 Wissenschaftler, die in 14 internationalen Kollaborationen und Teams organisiert sind, zu koordinieren. Dazu kam, dass natürlich einige Resultate schon über Astronomer Telegrams publiziert waren und damit die Entdeckung ein mehr oder weniger offenes Geheimnis war. Alles in allem war also gründliche Arbeit und Analyse der vielen Daten bei gleichzeitiger Eile geboten. Bei DESY in Zeuthen und anderswo waren dafür WissenschaftlerInnen beinahe Tag und Nacht auf den Beinen, um die Daten zu analysieren und auszurechnen, ob diese Koinzidenz vielleicht auch reiner Zufall gewesen sein könnte.

An Weihnachten war es dann soweit – das vorläufige Geschenk an alle AstrophysikerInnen war eine erste Version des wissenschaftlichen Artikels zur Begutachtung, in dem wir die (sehr, sehr, sehr wahrscheinliche) Assoziation von dem Neutrino mit TXS diskutieren. In den folgenden Monaten wurde weiter an der Veröffentlichung gefeilt, Kommentare von internen und externen Experten eingeholt, der Entwurf begutachtet und so lange an den Formulierungen gearbeitet, bis alle 1000 Wissenschaftler zufrieden waren. Nicht nur das, ob der Tragweite der Entdeckung wurde eigens eine Pressekonferenz im Hauptquartier der amerikanischen „National Science Foundation“ in Washington einberufen, um die bahnbrechenden Ergebnisse vorzustellen. Wer diese verpasst hat, kann sie sich nochmal auf YouTube anschauen:

https://youtu.be/iChBhHpFtMI&rel=0

Und wer sich lieber selber und interaktiv schlau machen möchte, kann gerne auf der eigens dafür eingerichteten Seite stöbern. Hier ein kleiner, nichtanimierter Ausschnitt:

Credit: DESY Science Communication Lab

Jetzt beginnt eine besonders spannende Zeit. TheoretikerInnen auf der ganzen Welt werden nun die Ergebnisse aller Boten zusammenbringen und versuchen zu verstehen, was TXS besonders macht (oder auch nicht) und ob es noch mehr von der Sorte gibt. Richtig spannend ist die Frage, wie wir mit unseren Nachbeobachtungen mit den bodengebunden Teleskopen weitermachen. Müssen wir unser Beobachtungsprogramm ändern, macht es Sinn in einer Wellenlänge ganz besonders genau hinzuschauen? Wo sind die anderen Beschleuniger der kosmischen Strahlung und können wir diese auch mit Neutrinos und Gammas nachweisen? Was ist mit explodierenden Sternen, oder den ominösen „Gamma-ray bursts“ (GRBs) – stossen die auch Neutrinos aus? Fragen über Fragen. Und die Suche hat jetzt erst so richtig begonnen.

Leser:innenkommentare (1)

  1. Rainer Kirmse

    Ein paar lockere Verse über die Rätsel des Universums:

    TEILCHENPHYSIK

    Ewig bleibt stehn keine Mauer,
    Nichts im Weltall ist von Dauer.
    So zerfällt nach einem Weilchen
    Auch noch das kleinste Teilchen.

    Nukleonen winzig klein,
    Der größte Galaxienverein;
    Was am Himmel sehen wir,
    Der Mensch und alles Getier;
    So schön auch der Bibelbericht,
    Einen Gott brauchte es hier nicht.

    DUNKLES UNIVERSUM

    Dunkle Materie ist rätselhaft,
    Dunkle Energie nicht minder.
    Das Wissen ist noch lückenhaft,
    Man kommt nicht recht dahinter.

    Es braucht wohl wieder ein Genie,
    Gar eine neue Theorie.
    Das Weltall total zu versteh’n,
    Wird noch etwas Zeit vergeh’n.

    DAS SCHWARZE LOCH

    Es ist weder schwarz, noch ist es ein Loch,
    Man sieht das obskure Objekt einfach nicht;
    Der dichten Materie entkommt kein Licht.
    Über Einzelheiten rätselt man noch.

    Es hat zugelegt seit seinem Entsteh’n,
    Wird auch demnächst nicht auf Diät geh’n.
    Es will sich alles einverleiben,
    Wir sollten dem Monster fernbleiben.

    Im Zentrum der Galaxie zu Hause,
    Saugt es Material auf ohne Pause.
    Man nennt dieses hier supermassiv,
    Es ist trotz seiner Fülle recht aktiv.

    Es wird von Sternen rasant umkreist,
    Was uns seine Existenz beweist.
    Eine Strahlung, nach Hawking benannt,
    Beobachtet man an Loches Rand.

    Der Ereignishorizont ist Grenze,
    Dahinter ist einfach Sense.
    Verrinnen will dort keine Zeit,
    Gefängnis für die Ewigkeit.

    MONSTERCRASH 🌚⚔️🌚 😉

    Zwei Schwarze Löcher im Streit,
    Das kommt vor von Zeit zu Zeit.
    Auch einen Neutronenstern
    Rempeln diese Monster gern.

    Die gewaltige Kollision
    Bringt das Weltall zur Vibration,
    In die Raumzeit ein paar Dellen,
    Dazu Gravitationswellen.

    Diese gehen auf die Reise,
    Zieh’n im Kosmos ihre Kreise.
    So erfährt auch unser Planet,
    Was da draußen vor sich geht.

    URKNALL UND UNIVERSUM

    Am Anfang war der Urknall,
    Um uns herum der Nachhall.

    Eine Singularität macht Karriere,
    Die Materie in einem Punkt vereint.
    Ein großer Knall beendet die Leere,
    Das Duo Raum und Zeit erscheint.

    Der Materie Vielfalt fächert sich auf,
    Es bilden sich die Elemente.
    Sterne und Planeten entsteh’n zuhauf,
    Alles in Ausdehnung ohne Ende.

    Uns’re Galaxie ist eine von Milliarden,
    Ein Spiralsystem, keine Besonderheit.
    Die Erde hatte die besten Karten,
    Hier fand das Leben Geborgenheit.

    Aus toter Materie ging es hervor,
    Strebte hin zu höchster Komplexität.
    Die Evolution wirkt als ein Motor,
    Der einfach niemals ins Stocken gerät.

    Zahllose Arten entsteh’n und vergeh’n,
    Bevor der Mensch betritt die Szenerie.
    Auch ihn wird man nicht ewig hier seh’n,
    Das ist die kosmische Dramaturgie.

    ASTRONOMEN

    Sie blicken zu Mond und Sternen,
    Sind den Planeten auf der Spur;
    Reisen zu des Weltalls Fernen,
    Wenn auch mit Teleskopen nur.

    Unterwegs in finsterer Nacht,
    Im Banne der himmlischen Pracht;
    Licht aus, Sterne an, klare Sicht –
    Viel mehr brauchen sie dazu nicht.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Mit freundlichen Grüßen

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