Jahrmarkt der Astroteilchen-Kuriositäten

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Ich war voriges Jahr auf Konferenzreise in Südkorea, und zunächst sei festgestellt: Die koreanische Küche geht noch etwas weiter als in meinem koreanischen Restaurant in Berlin. Hühnerfüße (nicht Beine) kommen vor, unfassbar scharfe Marinaden, und gerne werden Meeresfrüchte aufgetischt, die noch frischer sind, als man sich das als Europäer wünscht (Vorsicht, ich bin nicht sicher, ob das Video FSK-relevant ist; das Gericht wurde von meinem Kollegen in Unwissenheit bestellt und wir beziehen hiermit auch nicht ethisch Stellung für diese Art Küche):

Meine vegetarische Kollegin Eva (siehe H.E.S.S.-Blog „Ping it like bunny“) jedenfalls geriet emotional an ihr Limit. Meistens kann man das Vorhandensein lebendiger Zutaten auch beim Bestellen noch nicht mal vorhersehen, da es entweder auf koreanisch dasteht, oder selbst wenn Fotos da sind – naja, Fotos bewegen sich ja nicht… da muss man also durch, und wertschätzen, dass sie eben immer eine besondere Konferenz an besonderen Orten bleiben wird: die ICRC. International Cosmic Ray Conference. Manche deutschen Forscher sagen Izeh-Errzeh, manche englisch Eisie-Arsie, damit geht’s schon los. Verschiedene Communities aus der ganzen Welt treffen aufeinander, typischerweise etwa 1000 Teilnehmer, der Ausrichtungsort ist wie eine Fußball-WM immer auf einem anderen Kontinent, ein internationales Komitee entscheidet darüber. Als Diplomand durfte ich noch nicht fahren, konnte nur im Nachhinein den Geschichten lauschen: Wo hatte es einen Durchbruch gegeben, wer hatte welche „Frechheiten“ behauptet, wer hatte wieder überinterpretiert, welches Experiment hatte Schiffbruch erlitten, welcher Theoretiker hatte durch seine provokante Frage einen Eklat ausgelöst? Hatte man sich angesichts der exotischen Umgebung am Ende dann doch wieder zusammengerauft, um den Bus aus dem Matsch zu ziehen? Also nicht figurativ, sondern echt den Bus aus echt dem Matsch, weil Regenzeit in exotischem Land oder sowas, das verpasste Abenteuer des unerfahrenen Diplomanden Stefan schien unermesslich. Später, als Doktorand im dritten Jahr, war ich dann selbst zum ersten mal mit dabei, im fantastischen Mérida in Mexico (kollektiver Magenschaden war damals der sozial-moderative Gesellschaftsfaktor…). Seither ist ICRC Pflichtprogramm.

Einer von vielen Gänsehaut-Momenten war zum Beispiel 2013 in Rio de Janeiro: Edward Stone (Wikipedia-Artikel) hält einen Vortrag über die Voyager-Mission. Er war Projekt-Wissenschaftler dieses Programms seit 1972, hat die beiden Sonden also selbst mitgebaut und mitgestartet. Ich stelle fest, das war im August/September 1977, drei Monate vor meiner Geburt. Und jetzt steht dieser ergraute Herr mit leuchtenden Augen vor mir, und erzählt, dass eine dieser beiden Sonden gerade das Einflussgebiet unserer Sonne verlassen hat und durch den äußeren Bugwellenschock des Sonnenwindes in das interstellare Medium übergegangen ist. Und er vergleicht den Sonnenwind mit einem Wasserstrahl im Spülbecken – die Parallele ist klar erkennbar: Oben der blaue Wind im „Terminationsschock“ entspricht im unteren Bild dem Bereich, in dem das Wasser vom Auftreffpunkt des Strahls radial nach außen strömt (bis dahin wo es sich staut und blubbert):

Credit: NASA/Walt Feimer, https://www.nasa.gov/vision/universe/solarsystem/voyager_agu.html

Wie konnte ich das beim Zähneputzen bisher übersehen – bin ich am Ende doch kein Genie? 😳Jedenfalls, die Satelliten sind jetzt 20 Milliarden Kilometer entfernt von meinem Geburtsort. Und funktionieren immer noch, messen Strahlung und senden Daten. Wie auch ich. Unglaublich.

Letztes Jahr war die ICRC, die mittlerweile den Beititel „The Astroparticle Physics Conference“ trägt, also in Busan, in Süd-Südkorea. Da war es im Juli sehr schwülwarm (32°), und das Programm in den stark klimatisierten Seminarräumen enttäuschte auch in diesem Jahr wieder nicht. Ein Blumenstrauß von mitunter kuriosen Ergebnissen und neuen experimentellen Ansätzen wurde präsentiert. Zwischendurch stand mein Kollege Robert Brose vorne und erzählte von nicht-linearer diffusiver Schockbeschleunigung. Die Fragen nach dem 12-minütigem Vortrag waren gutgesinnt, er hat es ohne blaues Auge geschafft. Mir scheint aber, seine Arbeit ist tatsächlich ein bisschen komplizierter als ich rein von seinem Blog her gedacht hätte 🤔

Aber ich bin ja auch Experimentalist, nicht Theoretiker. Und da hat mich zum Beispiel gleich am Anfang ein Beitrag aus der japanzentrierten Community um den EUSO-Detektor fasziniert. Diese Forscher wollen in Zukunft irgendwann kosmische Strahlung allerhöchster Energie nachweisen, indem sie von einem Satellit aus nach unten schauend Einschläge dieser Teilchen in der Atmosphäre messen. Solche Einschläge machen sehr kurzlebige, aber viele Kilometer lange Fluoreszenzlichtblitze. Das kann man messen. Vielleicht. Jetzt hat eine Untergruppe dieser Community in Neuseeland einen Ballon mit einem Prototyp-Detektor steigen lassen (s. Foto)

Hoch gelegene Winde sollten ihn im Kreis um die Antarktis tragen. Hat aber nicht so geklappt wie geplant: Der Ballon war undicht und gab nach zwei Wochen den Geist auf. Sowas passiert, man schickt ja nicht alle Tage Ballons um die Antarktis. Trotzdem, ein tolles Projekt, erste Daten werden gerade ausgewertet. Man kämpft gegen diverse andere, in der Analyse auszusortierende Blitz-Ereignisse in der Atmosphäre, gegen niederenergetische kosmische Strahlung, die direkt durch die Kamera fliegt, und findet Lösungen. Man merkt, dass man mit der Technik auch andere Dinge untersuchen kann als kosmische Strahlung, und das Forschungsteam verschiebt und re-spezialisiert sich, aus Teilchenphysikern werden halbe Meteorologen – spannend. Und das sage ich jetzt mal so, obwohl DESY hier überhaupt nicht mitmischt, strategisch anders aufgestellt ist etc. – das Herz schlägt trotzdem mit.

Denn grundsätzlich beschäftigt sich die gesamte Hochenergie-Community mit der Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass im Kosmos Atomkerne und Elektronen zu unfassbar hohen Energien von einigen hundert EeV beschleunigt werden. Ein EeV ist ein Exa-Elektronenvolt, oder, wie ich sagen würde, die Energie eines 100 km/h schnellen Streifenhörnchens, wie dem hungrigen Ole, den ich beim Spazierengehen in Korea getroffen habe:

Nur dass bei der kosmischen Strahlung manchmal ein Ole mit 100 km/h (OMHK) in einem einzigen, winzigen Atomkern untergebracht ist. Und einen Atomkern zu 1 OMHK zu beschleunigen ist mit menschgemachter Technik (noch) vollkommen unmöglich: Selbst im 27 km langen LHC-Tunnel am CERN wird weniger als ein Mikro-OMHK erreicht (und nein, nicht nur Menschen können das nicht, auch Streifenhörnchen versagen hier regelmäßig…). Aber die Natur im Weltall kann das anscheinend. Wir von DESY untersuchen zur Ergründung dieses Phänomens vor allem Gammastrahlen und Neutrinos, die in solchen Beschleunigungsstätten entstehen. Aber der Austausch mit allen anderen Projekten dieser internationalen Gemeinschaft ist natürlich essenziell. Denn alles ist ein großes Puzzle, und um es zu lösen müssen alle funktionieren. Ich drücke die Daumen für den nächsten Ballon!

Von meiner Seite wurden dieses Mal zwei Poster vorgestellt: Eines zur Kameratechnik eines Gammastrahlenteleskops in Namibia (siehe Blog „Affen, Katzen, Gammastrahlen“), und eines über sogenannte Pulsarwindnebel, deren Entwicklung ich systematisch, nach Alter und anderen Parametern sortiert, untersucht habe (in vollem Detail hier zu lesen).

Pulsarwindnebel sind ein Puzzleteil der Geschichte von Elektronen und deren Antiteilchen (Positronen), kurz e±, im Universum. Denn Pulsare beschleunigen e± und zerstäuben sie in einem Nebel. Dort hausen sie jahrtausendelang und ziehen in diffusen Magnetfeldern wirre Kreise. Die Hypothese ist, dass sie längerfristig, wenn sie dann doch entkommen, zu einer diffusen Suppe aus e± in unserer Galaxie, der Milchstraße, beitragen. Und die Temperatur und Intensität dieser Suppe kann man wiederum auf der Erde messen. Die höchstenergetischsten dieser Elektronen haben wir zum Beispiel gerade mit den H.E.S.S.-Teleskopen neu vermessen, und ein französischer Kollege von mir hat es jetzt auf der ICRC präsentiert – eines der Highlights der Konferenz:

Der rote Teil rechts in dieser Energieverteilung sieht unspektakulär aus, hat aber so manchem Theoretiker tatsächlich das Herz gebrochen (figurativ hier). Denn manche Theorien sagten voraus, das Zerfälle dunkler Materie oder nahe gelegene, exzentrische Pulsare gar fabelhafte Strukturen in diese Verteilung zaubern könnten, die die jeweilige Theorie dann beweisbar gemacht hätten. Diese Träume sind nun geplatzt und die Null-Hypothese (dass die e±-Suppe aus einer gleichmäßigen Verteilung normaler Pulsare hervorgeht, und hier keine Signaturen besonderer Teilchen existieren) geht einmal mehr als Sieger vom Schlachtfeld der Modelle mit der Realität.

Ansonsten glänzte die ICRC auch immer mal wieder mit kleinen, fast heimlichen Sensationen. Zum Beispiel von der Satelliten-Community, die bei der ICRC auffällt durch Vokabeln wie „high precision“ und „Isotope“ (Atomkern-Untersorten), die bei uns Hochenergie-Leuten sehr selten nur vorkommen. Diese Satelliten-Experimentalisten haben mit dem ACE-Satellit ein sehr seltenes Isotop nachgewiesen: Eisen-60. Das ist ein instabiles Isotop, das in Sternen entsteht und eine Halbwertzeit von 2,6 Millionen Jahren hat, bevor es zu Cobalt-60 zerfällt. Für irdische oder gar menschliche Zeitskalen würde man das als ziemlich stabil würdigen, aber auf kosmischen Skalen bedeutet das, dass diese Materie nicht schon immer da war, sondern anscheinend zum Teil „erst“ vor wenigen Millionen Jahren in nah gelegenen Sternen produziert worden sein muss. Das Isotop geriet dann durch eine Supernova-Explosion des Sterns in die Umgebung und so zur Erde. Interessanterweise wurde letztes Jahr unabhängig davon in Sedimenten auf dem Boden des Pazifiks ebenfalls Eisen-60 gefunden, das man einer möglichen Supernova vor 2 Millionen Jahren zugeschrieben hatte (hier ein Artikel dazu). Das passt zusammen, eine Hypothese bekräftigt sich, ein Puzzleteil passt – schöne Sache.

Naja, also nach zehn Tagen war die Konferenz dann zu Ende. Mit den während den Vorträgen angefeindeten Kollegen der Konkurrenz konnte man sich am Abend nach dem Konferenz-Dinner wieder versöhnen:

Und man sagt ja, ein guter Vortrag soll eine Flamme der Erkenntnis entzünden und nicht ein Fass füllen. Aber ich muss sagen, am Ende so einer Konferenz fühle ich mich immer so als hätte mir jemand zehn Fässer schweren Sherry in den Kopf gefüllt (wieder figurativ, in den Vorträgen, also nicht hier oben am Strand). Es braucht dann eine gewisse Zeit, bis ich merke, dass doch auch ein paar Lichter entzündet wurden. Und sich Ideen bilden, was ich als nächstes so angehen sollte und was man untersuchen könnte. Möglichst bis zu nächsten ICRC, 2019 in Madison in den USA, und wenn nicht, dann 2021 – in Berlin!

 

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