Train to Busan

Busan Station
Busan Station, Credit: hyolee2; CC BY-SA 3.0

Morgengrauen. Der Zug von Soeul nach Busan ist in voller Fahrt. Ein Mann schläft auf seinem Sitz zusammengesunken und wiegt im Rhythmus des schwankenden Wagons sanft hin und her. Er erwacht. Plötzlich: Stimmengewirr, Unruhe, Tumult. Der Mann erhebt sich, erkundet den Zug, um dem Ursprung der schauderhaften Geräuschkulisse auf den Grund zu gehen. Ein Schritt. Noch ein Schritt. Ein Schrei. Im nächsten Moment erfasst er die Quelle der ihn unlängst ergreifenden Panik: Augenblicklich löst sich eine makabre Gestalt von einem blutüberströmten Körper und wendet sich ihm zu.

Es sind Zombies im Zug.

Die Reise nach Busan – dazu verdammt, in einer Katastrophe zu enden?

Auch auf meinem Weg nach Busan, der zweitgrößten Stadt Südkoreas, zur ICRC (dt. Internationale Konferenz für Kosmische Strahlung) befängt mich schon lang vor Beginn von Zeit zu Zeit das Gefühl, mich auf eine beängstigende, aber spannende Reise zu begeben. Beängstigend nicht etwa wegen sich auf Beutejagd befindender Zombiehorden, wie im oben kurz umrissenen Film „Train to Busan“; eher schon auf Grund all dieser kleinen und weniger kleinen alltäglichen Probleme, die wir alle, also auch theoretische PhysikerInnen wie ich, nur allzu gut kennen.

Doch wie sieht der Alltag theoretischer PhysikerInnen eigentlich aus?

Ein Großteil meiner Arbeit besteht darin, im Büro am Computer zu sitzen, Simulationsprogramme zu erstellen und natürlich die großen Fragen der Physik zu ergründen und hoffentlich zu beantworten. Besonders aufregend wird mein Physikeralltag jedoch dann, wenn die Vorbereitungen für baldige Konferenzen beginnen. Das bedeutet zwar viel Arbeit, aber die Aussicht darauf, interessante Orte zu sehen, mich mit Kollegen und Kolleginnen aus aller Welt austauschen zu können und einen Überblick über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse in meinem Fachgebiet zu bekommen, sind eine hervorragende Motivation.

Busan Hafen
Der Hafen von Busan, Credit: Stefan Klepser

Im vergangenen Jahr also die ICRC – eine der weltweit größten und wichtigsten Konferenzen in der Astroteilchenphysik. Mehr als 600 PhysikerInnen präsentieren in einem Zeitraum von acht Tagen über 1.200 wissenschaftliche Beiträge in Form von Postern und Vorträgen. Eine seltene, günstige Gelegenheit, Kontakte mit renommierten WissenschaftlerInnen aus dem eigenen Fachbereich zu knüpfen. Inhaltlich geht es auf der ICRC um so ziemlich alles, was mit Kosmischer Strahlung zu tun hat: von der Messung dieser auf der Erde bis zur Erstellung theoretischer Modelle ihres Ursprungs.

Februar 2017.

Meine metaphorische Zugfahrt nach Busan begann bereits im vergangenen Februar. Zwar waren zu diesem Zeitpunkt noch keine Probleme in Zombiedimension in Sicht, die Deadline für das Einreichen der Beitragsthemen zur ICRC rückte jedoch bedrohlich nahe. Fünf Monate vor Konferenzbeginn war ich mit meinem Material-Koffer und optimistischen Vorstellungen angesichts der abenteuerlichen Reise zum Einstieg in den Zug bereit; gewappnet für die Ankunft, also die Präsentation tatsächlicher Ergebnisse meiner Arbeit, allerdings mitnichten. Das trifft auf die meisten TeilnehmerInnen von Konferenzen zu. Die Angabe eines Beitragsthemas erfordert schließlich keine Ergebnisse und bis zum Beginn der Tagung gibt es genügend Zeit, solche zu produzieren. Der Fahrplan steht – nun muss nur noch der Zug pünktlich eintreffen.

Ich entscheide mich dafür, zwei Beiträge anzumelden. In beiden geht es um die Beschleunigung Kosmischer Strahlung, der hochenergetischen Teilchen, die die Erdatmosphäre permanent aus dem Weltraum treffen. Eine interessante Frage ist, woher diese kommen. Supernova-Überreste, die abgestoßenen äußeren Schichten von Sternen, die am Ende ihrer Lebensspanne explodiert sind, werden dafür als heiße Kandidaten gehandelt und sind überall in unserer Galaxie zu finden. Im ersten meiner Beiträge modelliere ich, wie sehr alte (mehrere 100.000 Jahre), im zweiten, wie sehr junge (einige 100 Jahre) Supernova-Überreste Teilchen beschleunigen. Dabei arbeite ich mit einem von meiner Arbeitsgruppe am DESY entwickelten Computerprogramm: RATPaC. Mehr dazu findet ihr in einem weiteren Blogeintrag.

 

April 2017.

Ein Schritt. Noch ein Schritt. Ein Schrei. Nein, keine Zombies, die in meinem Zug nach Busan ihr Unwesen treiben. Dafür aber ein RATPaC, das Fehler produziert, die ebenso wenig totzubekommen sind. Es unterbricht Rechnungen aus unerfindlichen Gründen, untergräbt mit seiner Langsamkeit zunehmend mein zeitliches Budget oder produziert Ergebnisse, die sich vollkommen konträr zu Erwartungswerten verhalten. Kurz: RATPaC sagt „Nein“.

Mai 2017.

Die Ergebnisse des Auswahlverfahrens der ICRC-Beiträge werden bekanntgegeben. Die Aufregung, die mich Anfang des Jahres noch euphorisch stimmte, wandelt sich nun zunehmend in Panik: Ich darf einen Vortrag halten. Allerdings sollte ich daher umso mehr fundierte Ergebnisse präsentieren können. Leider ist mein Fortschritt immer noch sehr überschaubar und so erweisen sich organisatorische Nebenschauplätze, wie die Buchung eines Hotels, die Recherche zu den Visa-Bestimmungen Südkoreas oder die Bedenken angesichts der drohenden Pleite meiner favorisierten Fluggesellschaft als willkommene Ablenkungen. Der Blick aus dem Zugfenster auf die vorbeiziehende Landschaft wirkt eben sehr viel anziehender als die aussichtslos erscheinende Auseinandersetzung mit angriffslustigen Untoten.

Juni 2017.

Gerade, als alles ausweglos erscheint, kann ich doch noch Lösungen für die schwerwiegendsten Probleme finden. RATPaC beharrt zwar nach wie vor auf seiner Langsamkeit, sieht aber zumindest von plötzlichen Arbeitsboykotts ab und produziert zufriedenstellende Ergebnisse. Das Visum stellt für mich als EU-Bürger keine Hürde dar und ein sicherer Flug, sowie ein günstig gelegenes Hotel waren schnell gefunden.

Auch wenn nicht alle Passagiere, also Ideen für meine Präsentationen auf der ICRC, die Zugfahrt unversehrt vollendet haben, so sind letztendlich doch alle Zombie-Probleme gelöst und die vermeintliche Katastrophe abgewendet. Die anfängliche Euphorie ist zurückgekehrt.

Nächster Halt: Busan.

Leser:innenkommentare (1)

  1. Jahrmarkt der Astroteilchen-Kuriositäten

    […] geschafft. Mir scheint aber, seine Arbeit ist tatsächlich ein bisschen komplizierter als ich rein von seinem Blog her gedacht […]

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