Eiersandwich mit Neutrinos

Heimspiel

Dieses Jahr habe ich Glück. Statt mich wie sonst durch einen Transatlantikflug zu quälen, steige ich einfach in der Früh auf mein Rad für eine Woche gefüllt mit Astrophysik: dem IceCube-Kollaborationstreffen.

Das IceCube-Meeting ist kein Treffen vom Rap Musik Fanclub, sondern ein Treffen von AstrophysikerInnen, die gemeinsam den größten Teilchendetektor der Welt betreiben: den IceCube-Detektor, ein Kubikkilometer glasklares Eis am Südpol, gefüllt mit 5600 Lichtsensoren. Das entspricht etwa dem Volumen von 400.000 olympischen Schwimmbädern – gefrorenen Schwimmbädern. Anders als klassische Teilchendetektoren wie ATLAS und CMS des Large Hadron Colliders am CERN, sind wir sehr speziellen “Geisterteilchen” auf der Spur, die jedem anderen Detektor unbemerkt entschlüpfen: Neutrinos. Diese merkwürdigen kleinen Teilchen finden sogar in Douglas Adam’s Science Fiction Buch “Per Anhalter durch die Galaxis” Erwähnung: „Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutrino auf seiner Reise durch all diese tosende, aufgewühlte Leere tatsächlich auf etwas trifft, ist ungefähr so groß wie die, mit einem auf gut Glück aus einer fliegenden 747 geworfenen Ball, sagen wir mal, ein Eiersandwich zu treffen.” Anstatt also mit einem Eiersandwich in der Hand ewig zu warten, könnte man die Wahrscheinlichkeit den Ball zu fangen erhöhen, indem man die Erde mit Eiersandwichen pflastert. So ähnlich funktioniert das auch mit den Neutrinos: wir brauchen einen großen Detektor um die extrem seltenen Fälle, in denen ein Neutrino einen Atomkern trifft und eine Spur hinterlässt, nachzuweisen.

Aber warum interessieren uns diese scheuen Teilchen überhaupt? Neutrinos sind Elementarteilchen (so wie das Elektron, nur mit noch winzigerer Masse und ohne elektrische Ladung), die in den energiereichsten Prozessen im Universum erzeugt werden. Zum Beispiel in explodierenden Sternen oder schwarzen Löchern. Gerade weil Neutrinos so selten wechselwirken, können sie zum Beispiel aus dem Innersten von Sternen entkommen, wo die Materie so dicht ist, dass Licht nicht entweichen kann, und uns so einen Blick in bisher unverstandene Prozesse im Universum erlauben.

Um also so einen riesigen Detektor zu bauen, braucht man natürlich viele Leute: etwa 300 WissenschaftlerInnen sind Mitglied der IceCube-Kollaboration. Ich bin eine davon. Zweimal im Jahr treffen wir uns, um Probleme und mögliche Lösungen zu diskutieren, immer auf der Suche nach neuen Quellen im Universum und bemüht unseren einzigartigen Detektor noch besser zu machen. Ein Teil dieser 300 PhysikerInnen trifft sich zweimal im Jahr. Das Frühjahrsmeeting findet in den USA, das Herbstmeeting in Europa statt – dieses Mal in Berlin.

Ich steige also auf mein Rad und rolle Richtung Humboldt-Universität, anstatt mich auf meinen gewohnten 50-minütigen Arbeitsweg mit der S-Bahn nach Zeuthen zu machen. Denn in Zeuthen befindet sich das Deutsche Elektronen Synchrotron DESY, wo ich als Wissenschaftlerin angestellt bin. Während mir der Berliner Herbstwind um die Nase weht, freue ich mich darauf, meine Kollegen und Kolleginnen aus aller Welt wiederzutreffen – WissenschaftlerInnen von 49 Instituten aus 12 Ländern arbeiten gemeinsam an IceCube. Für 5 Tage sitzen wir zusammen, tragen vor, hören zu und diskutieren. Das ist deutlich effektiver als bei den wöchentlichen Telefonkonferenzen, die wir zwischen den halbjährigen Meetings durchführen und bei denen man nie weiß, wieviele der eingewählten KollegInnen wirklich gerade zuhören, und wieviele womöglich parallel Emails beantworten, schlafen oder in den Kaffeeraum verschwunden sind. Wie jedes Jahr beginnt das Meeting mit dem „Detector Operations Report“. Das ist fast schon ein bisschen langweilig, weil unser Detektor so unglaublich stabil läuft. Für weniger als 20 Stunden im Jahr nimmt der Detektor keine Daten, weil zum Beispiel etwas repariert werden muss.

Welcome Party und Nobelpreis

IceCuber feiern ihr halbjährliches Zusammentreffen in Clärchens Ballhaus. Credit: Dustin Hebecker

Um unser Wiedersehen zu feiern endet der erste Tage mit einer Party auf den Spuren des Berlins der Zwanziger Jahre in Clärchens Ballhaus. Vor allem für die jungen Wissenschaftler, die bis in die frühen Morgenstunden das Tanzbein schwingen, ist das das Highlight des Meetings. Unsere Lieblingssongs aus jedem in IceCube vertretenen Land können in der IceCube around the world Playlist gefunden werden.

Dass am 3. Oktober eigentlich ein Feiertag ist, interessiert hier keinen so richtig – das Meeting geht trotzdem weiter. Wem die gestrige Party noch in den Knochen steckt, wird spätestens um 11:45 von guten Neuigkeiten in Stockholm geweckt: der diesjährige Physik Nobelpreis geht an die Entdecker von Gravitationswellen. Ob die Quellen von Gravitationswellen auch Neutrinos aussenden ist eine ungeklärte Frage, mit der sich einige IceCube Mitglieder beschäftigen.

Wo kommen die Neutrinos her?

Am letzten Tag des Meetings werden nun endlich die für mich persönlichen Highlights des Meetings präsentiert: TXS 0506+056, ein supermassives schwarzes Loch im Zentrum einer fernen Galaxie, das Materie verschluckt und dabei geladene Teilchen auf fast Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dabei wird Licht bei höchsten Energien produziert, sogenannte Gammastrahlung. Ein plötzlicher Anstieg in der Gammastrahlung gleichzeitig mit der Ankunft eines von IceCube gemessenen extrem hochenergetischen Neutrinos konnte mit dem Fermi Satelliten Teleskop und dem MAGIC Cherenkov Teleskop (was ist nochmal ein Cherenkov Teleskop?) gemessen werden.

Variation der Gammastrahlung gemessen von Fermi über die letzten 9 Jahre. Das Neutrino (hier in rot gezeigt) wurde zur Zeit von erhöhter Gammastrahlung gemessen.

Viele IceCuber sind aufgeregt, denn das könnte ein Hinweis sein, dass solche aktiven schwarzen Löcher die Quellen von hochenergetischen Neutrinos sind. Andere sind pessimistischer und sprechen von einer zufälligen Koinzidenz der beiden Ereignisse. Wer recht hat, wird sich in den nächsten Wochen klären. Dazu wird das IceCube Team zusammen mit den Fermi und Cherenkov-Teleskop Kollegen von MAGIC, H.E.S.S. und Veritas sowie weiteren Radio-, Optischen,- und Röntgenastronomen die Messungen im Detail auswerten. Vielleicht wird der nächste Nobelpreis für Neutrino-Astronomie vergeben!

Nach so viel Aufregung heißt es nun auf Wiedersehen bis zum nächsten IceCube Meeting im Mai in Atlanta.

Gruppenfoto der IceCube Kollaboration. Credit: Ashley Jones Photography

 

Leser:innenkommentare (4)

  1. Nico

    „Wer recht hat, wird sich in den nächsten Wochen klären.“

    Wie ließe sich denn klären, ob das Neutrino zufällig mit dem Blazar übereinstimmt oder nicht?

    1. Anna Franckowiak

      Es sieht so aus als würde des doch länger als einige Wochen dauern. Man kann die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass ein Neutrino zufällig mit einem hellen Blazar zusammen fällt. Diese Wahrscheinlichkeit hängt davon ab, wie viele Neutrinos bereits untersucht wurden und wie viele helle Blazare es am Himmel gibt. Würde es sehr viele Blazare geben, die heller als der gefundene sind, dann wäre die gefundene Koinzidenz nicht besonders interessant. Gäbe es hingegen nur wenige helle Blazare, dann ist die zufällige Koinzidenz selten und somit interessant. Das ist eine etwas vereinfachte Darstellung – das ganze wird etwas komplizierter wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass IceCube nicht für Neutrinos aus allen Richtungen gleich empfindlich ist, Blazare zeitlich variable sind etc.

  2. Eine Galaxie schießt mit Neutrinos (und noch viel mehr): die ganze Geschichte - Abenteuer Astronomie

    […] sich als Quelle anbot: Dieser Verdacht erhärtete sich in den folgenden Monaten und wurde bereits auf Konferenzen gefeiert, auch wenn danach trotz energischer Suche keinerlei weitere LAT-Quellen von IceCube-Neutrinos am […]

  3. Kosmische Geschwister

    […] Alle Vier haben ihre Eigenheiten, ihre Stärken und Schwächen. Die kosmische Strahlung besteht aus geladenen Atomkernen und erreicht die höchsten Energien. Leider kann sie sich nicht so gut konzentrieren und lässt sich auf ihrem Weg von einem kosmischen Beschleuniger zur Erde besonders gerne von Magnetfeldern ablenken. Lichtteilchen hingegen fliegen geradeaus und zeigen daher direkt auf ihren Ursprungsort zurück. Sie sind verhältnismäßig leicht nachzuweisen, können aber auf ihrem Weg zur Erde vernichtet werden. Keine so rosigen Aussichten. Und dann die Neutrinos. Diese sogenannten „Geisterteilchen“ gehen einfach so durch alles hindurch und wechselwirken in den seltensten Fällen. Prachtteilchen also – mit ihnen kann man bis in die Beschleuniger hineinschauen, direkt in einen explodierenden Stern zum Beispiel. Nachteil: siehe oben; sie lassen sich sehr schwer nachweisen. Am Besten nimmt man dazu einen riesigen Eiswürfel und stattet ihn mit Lichtsensoren aus. Anna hat das in ihrem Blogeintrag sehr schön beschrieben („Eiersandwich mit Neutrinos„). […]

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