Affen, Katzen, Gammastrahlen

Gammastrahlen-Teleskop H.E.S.S.

So, jetzt ist es zu Ende, unser Projekt, die Kameras am Gammastrahlen-Teleskop H.E.S.S. im namibianischen Hochland sind rundum erneuert. Fünf Jahre Elektronik-Entwicklung, zahllose Meetings, Wochen in der Wüste, Troubleshooting von Europa aus – jetzt ist es geschafft. Das Teleskop läuft wieder wie frisch, das zwanzigköpfige Team ist aufgelöst, das Projekt abgeschlossen. Und ich frage mich immer noch, ob es nicht doch auch wert wäre, eine Studie für ein Soziologie- oder Managementjournal anzuschließen. „Symbiose von Technikern, Ingenieuren und Physikern – eine Fallstudie in isolierter Umgebung“. Sozialforschung im Reagenzglas.

Wir waren letzten Herbst vier Wochen lang in Namibia auf einem Bauernhof untergebracht, zwei Stunden Geröllpiste von der Zivilisation in Windhoek entfernt. Einzige soziale Puffer nach außen beim Abendessen: zwei Hunde und drei Katzen (Spinnen und Skorpione zählen nicht, oder jedenfalls nicht für mich). Also allen voran Silver und Luna:

Das ist Zusammenarbeit auf Gedeih und Verderb, jeder Konflikt muss in der Gruppe gelöst werden, jeder Motivationskeim in der Gruppe sprießen. Niemand externes, der anfeuert, niemand zum Ausheulen. Keine Bar, in die man verschwinden kann. Kein Thema beim Abendessen, dass nicht alle teilen, keine Technik-Knobelei beim Frühstück, die irgendjemand ausblenden könnte. Alle essen das gleiche Essen. An freien Tagen machen alle den gleichen Ausflug, weil öffentlicher Arbeitgeber, also drei Autos für elf Leute, und zu Fuß nichts erreichbar und kein öffentlicher Nahverkehr. Abends die Stille der Einöde um das Häuschen rum, in dem ich schlief.
Nachts mit den Magellanschen Wolken am Sternenhimmel, und mit Geräuschen aus dem Dach und vor dem Fenster, die man auch einige Wochen später noch nicht endgültig zuordnen kann. Schon etwas anders als in unserer Heimat in Berlin. Ich bin daher wirklich froh, genau dieses fesche Team gehabt zu haben, und nicht einfach nur irgendwen.

Der Auftrag

…den wir hatten, war die Installation und Inbetriebnahme von immerhin 800 Elektronik-Platinen samt Software, die das Innenleben von „Cherenkov-Kameras“ ausmachen. Solche Kameras hängen bei unseren Teleskopen vorne an der Spitze und blicken in den Spiegel, der in den Himmel schaut. Ein Spiegelteleskop also:

Vor Ort musste erstmal alles auf die vorhandenen Alugestelle vormontiert werden:

Und getestet werden musste auch alles, wie hier Gianluca, der sich ein Pferd aus Photomultipliern gebastelt hat:

Photomultiplier heißen auf Deutsch Sekundärelektronenvervielfacher, aber man sollte einfach „Lichtsensoren“ oder „Pixel“ sagen, denn komplizierter ist es nicht, auch wenn für unsere Pixel wirklich schon vier, fünf Lichtteilchen (Photonen) ausreichen, um gesehen zu werden. Eine Kerze, im Vergleich, macht etwa 1.000.000.000.000.000 Photonen pro Sekunde. Also haben wir schon sehr gute Lichtsensoren, die durchaus eines schwierigen Wortes würdig sind.

Dann gab es natürlich auch noch richtige Mechanikarbeit, zum Beispiel für Lüftungskomponenten. Da brauchten wir Gabelstapler, wie hier auf dem schönen rotem Wüstensand zu sehen:

Das Ziel

Wenn alles zusammengebaut ist, kann so eine Kamera Fotos von Gammastrahlen-Bremsspuren aufnehmen (s. Grafik oben), die fast wie Sternschnuppen aussehen, nur blau-violett, ein paar Milliardstel Sekunden kurz und nur einige Dutzend Lichtteilchen hell. Ja, ziemlich erstaunlich. Aber es geht, hat Ende der Achziger Jahre zum erstenmal geklappt, mit dem WHIPPLE-Teleskop in Arizona. Damals wurden auf diese Weise die ersten kosmischen Teilchenbeschleuniger in Gammastrahlen gesehen und damit die höchstenergetische aller Astronomien ermöglicht: Die Gammastrahlenastronomie. Ein junges und wildes Feld, auch weil dabei nicht, wie bei klassischen Astronomien, Observatoriumsbetrieb und Auswertung getrennt organisiert wird, sondern weil hierfür wirklich noch Physiker mit Wetten-Dass-verdächtigen Gabelstaplerhelden in die Wüste ziehen um symbiotisch ihr bestes zu geben.

Mittlerweile kennen wir über hundert solcher kosmischer Beschleuniger-Objekte im Universum; die Hälfte davon sind in unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, und die nächstgelegenen davon nur wenige hundert Lichtjahre von der Erde entfernt. Also gerade mal ein paar Billiarden Meter – ja, tatsächlich, direkt in unserem astronomischen Hinterhof! Und manche davon sehen auch ganz schön bedrohlich aus (siehe links).

Aber das liegt hier nur an der Farbcodierung. „Vela Junior“, wie dieser Supernova-Schalenüberrest heißt, ist vermutlich fast tausend Jahre alt und beschleunigt seine Teilchen also schon lange ganz friedlich vor sich hin. Und die Strahlung, die er macht, ist genauso beschaffen wie die von anderen Supernovaresten und wird von den Magnetfeldern von Sonne und Erde weitgehend abgeschirmt (und den Rest der Strahlung können wir, wie sich gezeigt hat, ganz gut ab). Hier sind ein paar weitere Infos auf Englisch, für interessierte Leser: https://www.mpi-hd.mpg.de/hfm/HESS/pages/home/som/2017/06/

Affen und das Yin und Yang des Projektmanagements

Die Sache mit Vela Junior und seiner Strahlung sollte also nicht unser Hauptproblem sein, auf dem Bauernhof in Namibia, wo wir untergebracht waren. Denn dort war mehr soziales und logistisches Management gefragt. Vieles hängt voneinander ab, alle sind unterschiedlich schnell, und der Bauernhof eine halbe Autostunde vom Teleskop entfernt. Und wie gesagt, nur drei Autos dabei. Das will balanciert werden. Wann genau ist ein okayer Zeitpunkt für alle zu gehen, und wie und wo keimt das endgültige Hau-Ruck, das letztlich alle in die Autos bringt, obwohl es für mindestens zwei Leute doch noch „zu früh“ sein wird? Wie umgehen mit Früh- und Spätaufstehern, damit sie sich nicht bekriegen? Welche Musik wird gehört? Riskierte ich, von jetzt her betrachtet, suizidale Gedanken bei irgendwem, wenn ich schon wieder Chris Cornell auflegte, oder federte ich sie vielmehr ab?

Man weiß es nicht. Und ausgerechnet Affen sollten uns in eine der brenzligsten Situationen des Projektes reiten: Plötzlich kam es zu einem unerwarteten Materialschwund bei hochsensiblen Mikroprozessoren, die auf unseren Elektronik-Platinen montiert sind. Innerhalb weniger Tage starben gleich mehrere davon, ein Platinen-Lazarett wurde eröffnet und der Raum, in dem es passierte, fachgerecht markiert:

Tage wilder Paranoia begannen. Hatte der Lufttransport unsere Elektronik zerstört? Eignete sich unser Machwerk nicht für das Namibianische Stromnetz? Ist unser gesamtes Design zu sensibel für die Wüste? Die Stimmung war nervös, man schlief immer schlechter. Erst nach zwei weiteren Tagen stellte unser Allround-Techniker Markus eher zufällig fest, dass sich in dem Raum manchmal Kilovolt-Pulse in der Luft verteilten (und, mal ehrlich, wer von Euch würde sowas zu Hause auch „zufällig“ bemerken? → Ein klarer Fall von guter Intuition):

Die Störpulse gingen von dem unscheinbaren grauen Kasten hinten links aus, von dem aus ein Elektrozaun betrieben wird, der zur Abwehr von Affen und anderen Tieren um die Teleskope aufgestellt ist. Das hatten wir beim Testen am Zeuthener See natürlich nicht auf dem Schirm. Eine klassische Astroteilchenphysik-Installationsanekdote. Gelernt, notiert, abgehakt. Die erste Kamera wurde 2015 trotzdem rechtzeitig fertiggestellt, verfügbare Ersatz-Platinen nach dem Aufbau: Null. Wurden aber später nachgeliefert…

Zwei weitere Kapitel in der Sozialstudie, die mir vorschwebt, wären das Yin und Yang zwischen mir, dem Projektleiter, und Gianluca, dem technischen Koordinator. Denn warum überhaupt diese beiden Rollen in so einem kleinen Projekt von 20 Leuten? Ein Persönlichkeitsmodell, das ursprünglich auf den Psychoanalytiker Fritz Riemann zurückgeht, kann grob für Projektleiter interpretiert folgendermaßen dargestellt werden (siehe Grafik links).

Es zeigt mögliche intuitive Verhaltensimpulse von Mitarbeitern in Problemsituationen. Viele Mitarbeiter finden sich tendenziell in einer oder zwei Ecken des Bildes wohler als auf den anderen. Entweder vom Naturell her, oder durch Gruppendynamik eingeübt. Die Kunst der Arbeitsgruppenführung ist es, alles abzudecken, und die widersprüchlichen Pole, die entstehen, zu moderieren. Bei uns im Projekt hat es sich z.B. so eingependelt, dass ich, tiefenpsychologisch gesehen, die untere Hälfte bearbeitete (obwohl mein Naturell eher die obere linke Ecke sucht, aber ok…), und der technische Koordinator die obere Hälfte. So schien es oft, dass mein Streben nach Struktur, wenn ich z.B. Arbeitszeiten abstimmte, Meetings einberief und Zeitpläne kontrollierte, und seine Improvisationskunst – flexible Arbeitszeit, Zeitpläne, die bei Bedarf umgeworfen oder gestreckt wurden – sich gegenseitig konterkarierten. Tatsächlich aber brauchten wir beides, um zum Ziel zu kommen. Ein Projektrollen-Yin-und-Yang. Da muss ich sagen – Danke, Jörg Habenicht von der Helmholtzakademie für Führungskräfte, für diese coole Einsicht :)

Sogar das

Bleibt noch, kurz anzugeben mit dem Umstand, dass wir mit unserem Projekt recht gut in Zeit- und Budget-Rahmen geblieben sind. Wie übrigens viele andere öffentlich finanzierte Projekte, über die dann deshalb nirgends berichtet wird (zu langweilig für die Leser). Dem sei hiermit entgegengewirkt, hoffend, dass ich damit nicht auch noch die letzten Leser, die ich bis hierher hatte, verloren habe. Ach so, und das beste noch zum Schluss – die neuen Kameras funktionieren sogar! Hier ein paar Bilder von kosmischen Teilchen, die von vier Teleskopen gleichzeitig fotografiert wurden, und die wir jetzt mit einer Rate von ~1500 pro Sekunde am Himmel über Namibia messen:

Jedes Viererbild ist ein Strahlungsteilchen am Nachthimmel; das mit dem Ring links unten hat noch ein sogenanntes Myon dabei, das durch den Spiegel fliegt – das kommt vor, muss so. Also alles schick von unserer Warte aus. Damit wurden wir vor kurzen sogar „Source-of-the-month“ von H.E.S.S., obwohl dort vorwiegend Gammastrahlen-Quellen gehuldigt wird, nicht Hardware-Projekten, aber wir durften die Ausnahme sein: H.E.S.S. Source-of-the-month März 2017. Mehr dazu an anderer Stelle, wenn ein paar mehr Analysen fertig sind. Das übernimmt dann aber mein Kollege Stefan Ohm, der diese schönen Gamma-Einschlags-Bilder hier aus der Analyse geholt hat.

Bis die Tage,

Stefan Klepser

Leser:innenkommentare (4)

  1. Bettina Klepser

    Klasse geschrieben und beschrieben, interessant und unterhaltsam… Es war mir ein Vergnügen :-) Was ein Wunder ist, wenn ich an meine zu Schulzeiten stark ausgeprägte Aversion gegen alles, was irgendwie mit Physik zu tun hatte bedenke, die es mir bisher unmöglich machte, irgendeinen Zugang zu solchen Themen zu finden. Aber gut: Besser spät als nie, jetzt habe ich wohl gerade das richtige Alter ;-)

  2. Reiner Gerke

    Ich glaube, dass die sozio-ökologische Aspekt bei Projekten in quasi isolierten Umgebungen genauso interessant sind wie die der eigentliche Forschungsauftrag. Die Überwinterer in der Antarktis, besonders während der Polarnacht bzw. Polartag erleben dies wahrscheinlich ebenso wie Ihr. Auch in den Blogs der Polarstern wird manchmal angerissen, dass das Zusammenleben oft nicht so easy ist, wie es sich die Daheimgebliebenen vorstellen. Ich denke da auch eher gigantische Nordlichter, die Klarheit der Milchstraße usw. als daran zum Amokläufer zu werden, wenn schon wieder Chris Cornell läuft oder immer die gleiche Leute zu spät zur Abfahrt kommen. Deshalb vielen Dank für die Anmerkungen.

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