Ein arktischer Tiefseevulkan

Der Multicorer wird mit Sedimentkernen an Bord der Polarstern gehievt. Foto: Franz Schroeter, AWI

Von Joshua Kiesel and Franz Schroeter | Wir haben die Überfahrt vom 30. zum 60. Längengrad erfolgreich abgeschlossen und befinden uns nun auf der Türschwelle zum Nordpol: dem Gakkel-Rücken.

Großkastengreifer. Foto: Joshua Kiesel, Uni Kiel
Großkastengreifer. Foto: Joshua Kiesel, Uni Kiel

Der Gakkel-Rücken erhielt erst in den 1960-ern seinen Namen vom gleichnamigen sowjetischen Wissenschaftler. Im Jahr 2001 schließlich untersuchten die Forschungsschiffe Polarstern und die US-amerikanische Healy die Tiefsee vor Ort genauer und stellten fest, dass es sich um einen mittelozeanischen Rücken handelt: jene Spreizzonen zwischen den Kontinentalplatten, wo heißes Magma aus dem Erdinneren aufsteigt und so neuer Meeresboden entsteht. Daher befinden sich hier Hydrothermalquellen, die wir zu orten versuchten, und zudem wohlbekannte Zeugen vulkanischer Aktivität: Vulkane! Einer davon ist für die Wissenschaftler an Bord der Polarstern von besonderem Interesse: der Karasik Mountain. Dieser ist ein wortwörtlicher Höhepunkt der Expedition: Aus der hier fast 5000 m tiefen Tiefsee erhebt sich dieser steinerne Gigant bis fast 500 m unter die Meeresoberfläche, wo man inmitten einer Eiswüste von alldem nichts ahnt. Daher – und wegen der Abgeschiedenheit der Region – blieb das Gebiet wohl so lange weitgehend unerforscht. 2016 soll der erloschene Feuerberg endlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfahren und vermessen werden. Doch bereits auf dieser Expedition nahmen die beiden ambitionierten Jungwissenschaftler der „Benthos-Gruppe“ die Sedimente am Berghang unter die Lupe.

Bisher arbeiteten sie mit dem sogenannten Multicorer (MUC) – einem Sedimentkern-Stecher, der an einem Seil zum Meeresboden heruntergelassen wird, wo er durch Druckentlastung auslöst und seine Zylinder ins Sediment treibt; Verschlüsse verhindern, dass das gewonnene Material beim Hieven wieder herausrutscht. Allerdings ist diese Vorgehensweise am Karasik Mountain riskant, weil der steinerne Untergrund möglicherweise das Gerät beschädigen kann. Daher wird ein robusteres Gerät bemüht: der Großkastengreifer, der wie eine Baggerschaufel funktioniert und auch so aussieht.

Kerne werden aus dem Sediment im Boxcorer gestochen. Foto: Ulrike Hanz, Uni Kiel
Kerne werden aus dem Sediment im Boxcorer gestochen. Foto: Ulrike Hanz, Uni Kiel

Wie der Name bereits vermuten lässt, handelt es sich hierbei um einen sprichwörtlichen Metallkasten, der eine definierte Menge des Meeresbodens aussticht und mithilfe der Schaufel ans Tageslicht befördert. Diese greift beim Hieven des Gerätes unter den Kasten und sichert somit die Probe. Wenn alles gut geht, hat man ein Stück ungestörten Meeresboden mit ein wenig überstehendem Bodenwasser geborgen. Dies muss aber nicht immer gelingen, denn wo der Kastengreifer letztlich den Meeresboden trifft, lässt sich nicht genau bestimmen. Steile Hänge und große Felsbrocken könnten den Greifer beim Aufsetzen umkippen lassen. Die Probe wäre damit dahin. Als die Benthos-Gruppe den Kastengreifer also über dem mächtigen Berg hinab ließ, stieg die Spannung ins Unermessliche. Fiebernd warteten sie darauf, dass der Greifer den Meeresboden berührte, immer unbeirrbar den Lastenschreiber beobachtend, in Erwartung auf die entscheidende Zugentlastung am Seil. Als die Nadel dann endlich den lang ersehnten Ausschlag gab, wussten sie, dass der Greifer zumindest auf dem Gipfel des alten Vulkans aufgesetzt hatte. Aber hatte er auch ausgelöst und somit die für sie entscheidende Probe im Gepäck? An Deck ging das angespannte Warten weiter: Wann würden sie den aus der Tiefe emporkommenden Metallriesen im dunklen Schwarzblau des arktischen Ozeans erblicken? Aber dann endlich, nach einer halben Ewigkeit wurde der gut gefüllte Kasten an Deck gehievt und war bereit zur Beprobung.

Ausbringen einer Verankerung. Links: Schwimmkörper werden am Verankerungsseil als auftreibende Elemente zu Wasser gelassen. Foto: Franz Schroeter, AWI
Ausbringen einer Verankerung. Links: Schwimmkörper werden am Verankerungsseil als auftreibende Elemente zu Wasser gelassen. Foto: Franz Schroeter, AWI

Für so manch einen wohl nichts weiter als ein Haufen Schlick, bietet der zugegeben schlammige Inhalt des Kastens den Benthosökologen nun die Gelegenheit, den arktischen Meeresboden genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Ergebnisse vieler Expeditionen haben im Laufe der Zeit dazu beigetragen, dass sie bereits einiges über die Funktionen und die Rolle des Meeresbodens im Gesamtkontext des arktischen Ökosystems wissen. Es bleibt aber immer noch die Frage, ob, wie und warum sich diese Funktionen in Raum und Zeit verändern. Dies wollen sie quantitativ erfassen. Außerdem möchten sie wissen, welche Faktoren die Determinanten eines besonders produktiven und aktiven Meeresgrunds sind. Ist es vor allem die Diversität der Fauna oder etwa die Häufigkeit einer bestimmten Spezies? Oder bestimmen gar externe Faktoren wie beispielsweise herabsinkende Algen, die aus den lichtdurchfluteten oberen Schichten des Meeres stammen, die Dynamik des Ökosystems? Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des sich stetig zurückziehenden arktischen Meereises und der voranschreitenden Erwärmung der Ozeane von entscheidender Bedeutung. Das Ziel ihrer Arbeit ist daher, ein verbessertes Verständnis der Prozesse auf und im Meeresboden zu erlangen, was einen wichtigen Beitrag zum Gesamtverständnis des polaren Wandels leisten kann. Vielleicht ist die geborgene Probe am Karasik Mountain bereits ein weiteres Puzzlestück, das zur Beantwortung dieser Fragen beitragen kann.

Rechts: Eine der beiden Sinkstofffallen, die in unterschiedlichen Tiefen an der Verankerung angebracht wurden. Foto: Franz Schroeter, AWI
Rechts: Eine der beiden Sinkstofffallen, die in unterschiedlichen Tiefen an der Verankerung angebracht wurden. Foto: Franz Schroeter, AWI

Die Arbeiten am Karasik Mountain standen außerdem im Zusammenhang mit dem Ausbringen einer Verankerung. Dabei handelt es sich um ein Seil, das mit einem Gewicht am Meeresboden verankert wird und an dem nacheinander zahlreiche Messgeräte, Sinkstofffallen, Wasserschöpfer und Schwimmkörper befestigt werden. Zwischen dem Gewicht am Meeresboden (i.d.R. drei Eisenbahnräder à 300 Kilogramm) und dem Seil befindet sich ein Öffnungsmechanismus, der ausgelöst werden kann, wenn die Geräte ausreichend Daten gesammelt haben. Bereits am 29. August 2015 wurde erfolgreich eine kilometerlange Verankerung zu Beginn unseres Transekts auf dem 60. Längengrad ausgebracht – ein spannendes Schauspiel! In der Nähe des Karasik Mountain wurde nun eine weitere Verankerung angelegt, wovon sich Ozeanographen und Biologen viele neue Erkenntnisse versprechen. Die Geräte sammeln fleißig Daten, bis die Polarstern nächstes Jahr wieder vorbeikommt, um sie zu bergen und mehr über das hochinteressante Gebiet rund um diesen arktischen Vulkan herauszufinden.

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