Zielscheiben für Ionen

Annett an der Walze. Bild: GSI

Genauso wichtig wie die Ionen aus den Beschleunigern sind die Zielscheiben, auf die sie geschossen werden: die Targets. Mit ihnen wechselwirken die Ionen. Für jedes Experiment sind spezielle Targets nötig. Meistens sind sie sehr dünn, manchmal bestehen sie nur aus wenigen Atomlagen. Manchmal sind sie aber auch Zentimeter dick oder komplex angeordnet. Je nach Element und Dicke müssen sie aufwendig und in vielen Schritten verarbeitet werden, daher ist ihre Herstellung eine Kunst. Heute besuche ich die Künstlerinnen und Künstler in ihrem Atelier, dem Targetlabor.

Rotierende Zielscheibe

Ein altes TASCA-Targetrad nachdem es mit Ionen beschossen wurde. Bild: G. Otto/GSI
Ein altes TASCA-Targetrad nachdem es mit Ionen beschossen wurde. Bild: G. Otto/GSI

11:00 Uhr. Annett steht an der Walze. Sie ist eine von sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Targetlabor. „Ich walze gerade Titanfolien für TASCA. Es sind Trägerfolien für das eigentliche Targetmaterial.“ TASCA heißt ein Experimentaufbau, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Elemente untersuchen. Wie sieht ein Target dafür aus? „Das TASCA-Target darf nicht zu heiß werden, wenn die Ionen darauf prasseln“, erklärt Annett. „Deshalb sind die einzelnen Target-Folien im Kreis auf einem Rad angeordnet, das sich dreht.“ Die Folien befinden sich dadurch immer nur kurze Zeit im Ionenstrahl und können zwischendurch abkühlen.

 

Walzen auf Mikrometer

Das Walztarget im Edelstahl-Umschlag. Bild: GSI
Das Walztarget im Edelstahl-Umschlag. Bild: GSI

Um ein sogenanntes Walztarget herzustellen, legt Annett eine gekaufte Titanfolie in einen Umschlag aus Edelstahlblech und schiebt das Paket durch die Walze wie einen Nudelteig. Damit die Ionen, die mit etwa zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit aus dem Beschleuniger kommen, nicht gestoppt werden, dürfen die Folien nur gut zwei Mikrometer dick sein. „Von 20 auf zwei Mikrometer zu walzen dauert viele Stunden. Es verlangt viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl, denn die Folien bleiben leicht am Edelstahl hängen und zerreißen. Ich fange schon Wochen vor dem Experiment mit dem Walzen an. Mehr als ein bis zwei Stunden hält man nämlich nicht aus“, sagt sie lachend.

Handschuhbox und „Plattenspieler“

Ein geläpptes und poliertes Kupfertarget mit Markierungspunkten. Bild: GSI
Ein geläpptes und poliertes Kupfertarget mit Markierungspunkten. Bild: GSI

Andere Targets müssen extrem glatt sein. Annett zeigt mir ein Kupfer-Target. „Wir haben es geläppt und poliert, damit es so glatt ist.“ Läppen, das heißt mit einer Flüssigkeit bearbeiten, in der Diamantpulver enthalten ist. Das Gerät dazu, die Läppmaschine, sieht einem Plattenspieler ähnlich. Die frisch geläppte Kupferoberfläche ist empfindlich und würde mit der Zeit an Luft anlaufen.

Die Läppmaschine sieht einem Plattenspieler ähnlich. Bild: GSI
Die Läppmaschine sieht einem Plattenspieler ähnlich. Bild: GSI

„Dafür haben wir die luftdicht verschlossene Handschuhbox, in der wir das Kupfertarget aufbewahren können.“ In der Box ist keine normale Luft, sondern das Edelgas Argon. Es reagiert kaum mit anderen Materialien und das Kupfer bleibt in seiner reinen Form. Wir gehen weiter durch das Labor. Hier stehen Pressen, Öfen, Schränke voller Chemikalien, Messgeräte; hier kann man polieren, schneiden, wiegen, kleben – eine neue Welt der Materialverarbeitung für mich.

Die Handschuhbox ist mit Argon gefüllt. Der "Luftdruck" ist innen etwas höher als außen, damit auch bei einer kleinen Undichtigkeit nur Argon nach außen und nicht die schädliche Luft nach innen gelangt. Deshalb sind die Handschuhe nach außen gestülpt, als wollten sie allen die Hände schütteln. Bild: GSI
Die Handschuhbox ist mit Argon gefüllt. Der „Luftdruck“ ist innen etwas höher als außen, damit auch bei einer kleinen Undichtigkeit nur Argon nach außen und nicht die schädliche Luft nach innen gelangt. Deshalb sind die Handschuhe nach außen gestülpt, als wollten sie allen die Hände schütteln. Bild: GSI

75 auf einen Streich

Die Target-Leiter für den Fragmentseparator. Bild: GSI
Die Target-Leiter für den Fragmentseparator. Bild: GSI

Bei den Experimenten kommt nicht immer nur eine Sorte Targets zum Einsatz. Am Fragmentseparator zum Beispiel wird eine ganze Target-Leiter verwendet. Das ist eine Metall-Platte mit 75 Löchern, bei der in jedem Loch ein anderes Target enthalten ist. Ohne den Experimentaufbau zu verändern, können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler somit ganz verschiedene Reaktionen beobachten. Sie fahren einfach ein Target nach dem anderen per Fernsteuerung in den Strahl.

Ganz unterschiedliche Targets befinden sich in den 75 Positionen der Targetleiter. Zum Beispiel Tantal (v. l.), Kupfer, Aluminium und Blei. Bild: GSI
In den 75 Positionen der Targetleiterbefinden sich ganz unterschiedliche Targets, z. B. Tantal (v. l.), Kupfer, Aluminium und Blei. Bild: GSI

„Diese Target-Leiter enthält 75 Targets aus verschiedenen Elementen: Gold, Kupfer, Beryllium, Tantal, Blei und Kohlenstoff sind dabei“, sagt Annett. Die Targets sind außerdem unterschiedlich dick: zwischen 0,1 Millimeter und vier Zentimetern. Jedes Mal ist das Reaktionsergebnis dadurch anders. „Für 75 unterschiedliche Targets sind sehr viele verschiedene Arbeitsschritte nötig. Deshalb braucht man für die Präparation einer solchen Target-Leiter fast ein Jahr Vorlaufzeit!“

Dünner als die kleinsten Bakterien

Willi an der Elektronenstrahlkanone. Bild: GSI
Willi an der Elektronenstrahlkanone, mit der dünne Targets hergestellt werden. Bild: GSI

 

Vier Zentimeter dicke Targets, das da noch Teilchen durchkommen, kann ich mir nur schwer vorstellen. Andere Targets sind nur wenige hundert Nanometer dick, dünner als die kleinsten bekannten Bakterien mit 300 Nanometern. „So dünne Schichten stellen wir durch Aufdampfen oder Sputtern her“, erklärt Willi, ein anderer Mitarbeiter des Targetslabors. „Zur Herstellung eines dünnen Goldtargets geben wir zum Beispiel eine kleine Menge Gold in einen Tiegel.

Blick in die Elektronenstrahlkanone, mit der dünne Targets hergestellt werden. Bild: GSI
Blick in die Elektronenstrahlkanone.  Bild: GSI

Dann wird der Tiegel durch Strom so stark erhitzt, dass Golddampf entsteht. Der scheidet sich dann in einer dünnen Schicht auf dem Trägermaterial ab.“ Die Goldfolie wird dann meistens vom Trägermaterial abgelöst und auf Rähmchen gezogen. „Wir sind auf Festkörper-Targets spezialisiert. Gasförmige, flüssige oder hochradioaktive Targets kommen nicht aus unseren Labors“, sagt Willi.

Der teuerste Schrank bei GSI

Der wertvollste Schrank bei GSI: Hierin gibt es kleine Mengen von über 100 verschiedenen Elementen und Isotopen des Periodensystems. Bild: GSI
Der wertvollste Schrank bei GSI: Hierin gibt es kleine Mengen von über 100 verschiedenen Elementen und Isotopen des Periodensystems. Bild: GSI

„Wir stellen Targets aus vielen verschiedenen Elementen her“, sagt Willi und geht zu einem Schrank. Von außen wirkt er unscheinbar, doch er birgt einen Schatz, quasi das leibhaftige Periodensystem. Statt als Tabelle auf Papier, ist das Periodensystem hier in Fläschchen, Dosen und Tütchen zu sehen. „Hierin sind kleine Mengen von über 100 verschiedenen Elementen und Isotopen.“ Vor allem die seltenen Isotope sind teuer, also Elementvarianten, die mehr oder weniger Neutronen im Kern haben als die natürlich vorkommenden.

Noch leer: das Targetrad für JAEA, Tokai, Japan. Bild: GSI
Noch leer: das Targetrad für JAEA in Japan. Bild: GSI

Ein Milligramm Calcium-48 kostet zum Beispiel 200 Euro. „Wenn wir solche Materialien verarbeiten, müssen wir erst einmal das richtige Verfahren entwickeln. Mit natürlichem Calcium testen wir, wie wir am effizientesten die besten Folien herstellen können. Erst dann nehmen wir das wertvolle Calcium-Isotop.“ Das Knowhow, das sich über die Jahre im GSI-Targetlabor angesammelt hat, nutzen auch andere. „Wir haben schon Targets für Experimente am JAEA in Japan oder am GANIL in Frankreich hergestellt, weil GSI-Mitarbeiter an ihnen beteiligt waren.“

Der Vorrat an Targets in verschiedenen Verarbeitungsstufen ist groß. Bild: GSI
Der Vorrat an Targets in verschiedenen Verarbeitungsstufen ist groß. Bild: GSI

Willi öffnet weitere Schränke, eine unübersichtliche Anzahl von Tütchen, Plastikdosen und –boxen kommt zum Vorschein. „Das sind alles Targets in verschiedenen Verarbeitungsstufen. Es ist oft effizienter größere Stückzahlen einer Sorte Targets herzustellen. Gleichzeitig sind wir dadurch flexibler und können schnell auf Anfragen der Wissenschaftler reagieren“, erklärt sie. „Manchmal arbeiten wir auch für die Ionenquellen. Wir pressen pulverförmige Materialien in feste Tabletten oder verarbeiten kleine Mengen teurer Isotope so, dass sie effizient ionisiert und beschleunigt werden können.“ Daher lautet das Fazit meines Besuchs: Keine Strahlzeit ohne Targetlabor!

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