Starke Nerven im Hauptkontrollraum

Beschleuniger-Operateure bei der Arbeit im Hauptkontrollraum. Bild: J. Hosan/HA Hessen Agentur

Dienstag, 2. September, 14:00 Uhr. Schichtbeginn für Achim Bloch-Späth. Er ist einer von rund 30 Operateuren, die wissen, wie sie das Maximum aus den GSI-Beschleuniger herausholen können: viele Ionen und eine exakte Lage im Strahlrohr. Multi Thinking und jahrelange Erfahrung sind das wichtigste in seinem Job. Vor allem, wenn etwas nicht nach Plan läuft – so wie heute, denn ein längerer Stromausfall am Tag zuvor hat einen Neustart des Beschleunigers erfordert.

Die drei Operateure der Spätschicht. Bild: GSI
Die drei Operateure der Spätschicht: Andre Zimmermann, Achim Bloch-Späth und Jens Stadlmann (v. l.). Bild: GSI

Es ist mitten am Tag, trotzdem ist der Hauptkontrollraum (HKR) dunkel. Nur die Monitore erhellen den Raum. Bloch-Späth sitzt im UNILAC-Sektor. Er leitet die heutige Schicht, zu der insgesamt stets drei Operateure gehören. Die Beschleuniger befinden sich nicht im Routinebetrieb. Denn die Nachwirkungen des gestrigen Stromausfalls sind immer noch zu spüren. „Wir mussten alles neu starten“, erzählt Bloch-Späth. „Es gibt zwar Grundeinstellungen, die wir per Mausklick auswählen können, aber das Feintuning müssen wir per Hand mit viel Geduld, Erfahrung und manchmal Kreativität machen.“ Gut 2500 einzeln elektrisch steuerbare Komponenten spielen eine Rolle. „Hier auf dieser ‚Landkarte’ sind alle Komponenten eingezeichnet“, sagt er und zieht einen überdimensionierten Schnellhefter hervor. „Magnete, Trafos, Strahldiagnose-Elemente.“

Die "Landkarte". In diesem Hefter sind alle Komponenten eingezeichnet und benannt. Bild: GSI
Die „Landkarte“: In diesem Hefter sind alle Komponenten eingezeichnet und benannt. Bild: GSI

Fieberhaft hatten die Operateure den gestrigen Tag gearbeitet und den Beschleuniger gegen Abend wieder zum Laufen gebracht. Der UNILAC liefert seither Strahl an die Materialforschung. Doch der Ringbeschleuniger steht still. Es gibt ein Problem mit dem Zugangskontrollsystem (ZKS). Dieser Schutzmechanismus sorgt dafür, dass niemand im Cave ist, wenn der Beschleuniger eingeschaltet wird. Das ZKS muss dem Beschleuniger eine Freigabesignal senden, sonst lässt dieser sich nicht einschalten. Aufgrund von Netzwerkproblemen ist aber die Kommunikation unterbrochen. „Wahrscheinlich eine Folge des Stromausfalls.“, sagt Bloch-Späth. „Die Leute von der Sicherheit und dem Strahlenschutz sind dabei das Problem zu lösen.“

Achim Bloch-Späth leitet die Schicht. Bild: GSI
Achim Bloch-Späth leitet die Schicht. Bild: GSI

Ich nutze die Zeit des Wartens und bringe in Erfahrung, wie man Operateur eines Beschleunigers wird. „Ich bin jetzt seit 2003 bei GSI“, erzählt Bloch-Späth. „Eigentlich bin ich gelernter Prozessautomatisierungstechniker. Davor habe ich zum Beispiel für eine Firma gearbeitet, die TV-Übertragungswagen vertreibt. Meine Kollegen sind zum Teil Ingenieure, Techniker oder Physiker. Als ich hier anfing, hatte ich von Beschleunigern kaum Ahnung. Ein halbes Jahr dauert die offizielle Einarbeitungszeit, in der ich als vierter Operateur bei den Schichten dabei war. Nach dieser Zeit kannte ich aber nur die Grundlagen. Die komplexen Zusammenhänge habe ich erst mit den Jahren durchschaut. Da zählt Erfahrung mehr als das physikalische Verständnis!“

Im HKR haben sich in der Zwischenzeit immer mehr Leute eingefunden. Jeder will wissen, was das Problem ist und wann er wieder Strahl hat. Alle paar Sekunden wirft Bloch-Späth einen Blick durch die Scheibe auf den Konsolenplatz des Strahlenschutzes. Der fragliche Bereich leuchtet immer noch lila. Mittlerweile sind über 20 Leute hier, das ist seit langem Rekord. Neben Experimentatoren sind auch Mitarbeiter aus den Infrastruktur-Gruppen hier. Sie wittern ihre Chance: Bei einem längeren Ausfall könnten sie eventuell den Beschleunigertunnel betreten, um nicht dringende , aber wünschenswerte Wartungsarbeiten durchzuführen. Doch ihre Hoffnungen werden enttäuscht. „Wir machen jetzt nicht noch mehr Fässer auf“, sagt Betriebskoordinator Uwe Scheeler. „Das Problem wird sicher gleich gelöst sein.“

Der Bereich leuchtet jetzt rot, nicht mehr lila. Ein gutes Zeichen. Bild: GSI
Der Bereich leuchtet jetzt rot, nicht mehr lila. Ein gutes Zeichen. Bild: GSI

16:30 Uhr. Und tatsächlich, ein weiterer, mittlerweile reflexartiger Blick auf die Leuchtanzeigen zeigt, statt lila leuchtet der Bereich jetzt rot. Das ZKS meldet „betriebsbereit“. In Nullkommanichts sind alle an ihren Plätzen und der HKR leert sich wieder. „Lass uns die 6 nach HHD schicken“, schlägt der Spezialist für den Ringbeschleuniger Jens Stadlmann vor. Damit meint er, dass Maschine 6 gestartet und in Richtung FRS geleitet werden soll, denn dort steht der stärkste Beam Dump. Hier kann ein Probeschuss nichts kaputt machen. Es scheint alles zu funktionieren.

Alice Lieberwirth ist als nächstes an der Reihe. Sie bekommt Ionen für ein Strahldiagnose-Experiment. „Die Maschine 8, ja?“ fragt Jens nach. Maschine nennen die Operateure die gespeicherten Einstellungen für bestimmte Experimente, die mit einem Klick aktiviert werden können. Jens ist in seinem Element, läuft von Monitor zu Monitor, tippt auf den Touchscreens herum, um die Strahlqualität zu verbessern, und schiebt sich immer wieder abwesend einen Cracker in den Mund.

Bild: GSI
Bild: GSI

Schon sind die nächsten „User“ an der Reihe, die Experimentierspeicherring-Gruppe. „Maschine 6 lief gut, die kopiere ich jetzt, aber ohne die Pulszentraleneinstellung, die muss ich per Hand einstellen!“, sagt Jens. Die Experimentatoren des ESR sitzen eine Sektion weiter, prüfen wie der Strahl bei ihnen ankommt und geben Rückmeldung. „Hast du etwas an der Maschine geändert?“, fragt Markus Steck. „Der Strahl liegt auf einmal ganz anders.“ „Die UNILAC-Maschine wurde nach dem Stromausfall ja ganz neu eingestellt, deshalb läuft sie noch nicht konstant“, vermutet Jens.

Jens (in Rot) wählt eine Maschine für den Ringeschleuniger aus. Bild: GSI
Jens (l.) wählt eine Maschine für den Ringeschleuniger aus. Bild: GSI

19:30 Uhr. Zwei Stunden später ist Alice Lieberwirth fertig mit ihrem Strahldiagnose-Experiment und ein Platz im Parallelbetrieb des Beschleunigers wird frei für das HADES-Experiment. Wieder ist viel los im HKR, Schichtwechsel der Experimentatoren quasi. „Bitte mache noch eine Speicherung von der Maschine, bevor du sie abschaltest“, „Kannst du hier noch die Intensität erhöhen?“, „Haben wir gerade kein Xenon im SIS?“ geht es durcheinander.  Die Operateure sind im Laufschritt zwischen den verschiedenen Anzeigen und Steuerpulten unterwegs. Jens’ Cracker wurden von einem Apfel und Salzstangen abgelöst.

Das Gästebuch im HKR. Bild: GSI
Im HKR gibt es sogar ein Gästebuch. Bild: GSI

19:55 Uhr. „Ich starte jetzt die HADES-Maschine“, sagt Bloch-Späth. Jens prüft, was in dieser Einstellung aus dem UNILAC ankommt. „Da ist die Energie vom UNILAC sehr breit. Am besten wir optimieren dort zuerst, bevor wir mit dem SIS weitermachen.“ Bloch-Späth sitzt konzentriert vor den Anzeigen. Der UNILAC wird hauptsächlich mit Drehknöpfen eingestellt. „Jetzt müsste es aber besser sein, mit der Energieschärfe.“ „Ja deutlich! Schon um einen Faktor 2 mehr Intensität, ohne dass ich am SIS etwas geändert habe.“ Bis um 22:00 Uhr dauert die Schicht noch. Sobald der Strahl für das HADES-Experiment optimiert ist, dürfte aber etwas mehr Ruhe einkehren. Für Bloch-Späth und seine Kollegen ist eine solche Schicht normal. „Stressig wird es erst, wenn Experimentatoren um jede Minute Strahlzeit kämpfen. Da verweisen wir immer auf die Mittagssitzung, dort wird abgewogen, welche Priorität das Experiment hat. Wir konzentrieren uns auf einen guten Ionenstrahl.“

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