Schere, Papier, Beschleuniger

Essen ist nur im Nebenraum erlaubt. Bild: GSI

Mittwoch, 30. Juli. Heute begleite ich Gita Gellanki zu ihrer Schicht am Kernphysik-Experiment. Am Samstag wurde der Strahl in stundenlanger Feinarbeit justiert, um die Zielscheibe zu treffen und die Struktur von Atomkernen zu erforschen. Seither läuft das Experiment Tag und Nacht am Stück und internationale Wissenschaftler betreuen es ständig. Dabei spielen trotz jeder Menge High-Tech auch Schere und Klebestift noch eine Rolle.

Meeting zum Schichtwechsel. Bild: GSI
Meeting zum Schichtwechsel. Bild: GSI

Es ist 16.00 Uhr: Schichtwechsel. Alle treffen sich zu einem kurzen Meeting in der Messhütte. Ein japanischer Wissenschaftler berichtet von den letzten acht Stunden. „Wir sind mit 600 MeV fast fertig“, sagt er. „Wir können also auf 900 und 1200 MeV gehen.“ Die Wissenschaftler geben die Geschwindigkeit mit der die Ionen auf die Zielscheibe (Target) treffen nicht in km/h oder in Prozent der Lichtgeschwindigkeit an. Sie geben sie in Energie an, genauer gesagt in der für Beschleuniger üblichen Einheit Megaelektronenvolt (MeV) pro Nukleon.

Es geht um Counts

Gita (r.) am Arbeitsplatz. Ong Hooi Jin (l.) aus Malaysia ist der Schichtleiter. Bild: GSI
Gita (r.) am Arbeitsplatz. Ong Hooi Jin (l.) aus Malaysia ist der Schichtleiter. Bild: GSI

16.15 Uhr. Nach der Besprechung begeben sich alle wieder an ihre Arbeitsplätze. Gita setzt sich vor einige Bildschirme und schlägt Ordner auf. „Wir haben drei verschiedene Targets und vier verschiedene Energien, mit denen wir die Ionen auf die Targets schießen. Wir müssen alle Kombinationen von Targets und Energien etwa fünf bis 15 Stunden laufen lassen, damit wir 200 Counts bekommen“, erklärt sie. Mit einem Count meint sie, dass ein gewünschtes Ereignis eingetreten ist, zu sehen als Peak im Spektrum.

Such nach „funny angles“

Isao Tanihata (r.) spricht mit seinem Kollegen Hans Geissel (l.). Bild: GSI
Isao Tanihata (r.) spricht mit seinem Kollegen Hans Geissel (l.). Bild: GSI

16.30 Uhr. Isao Tanihata, der Leiter der japanischen Arbeitsgruppe an der Universität Osaka, erklärt mir, was er und seine Kollegen hier erforschen. Es geht um die genaue Vorstellung von Atomkernen, die aus Nukleonen (Protonen und Neutronen) bestehen: „Wir vermuten, dass sich einige Nukleonen im Kern extrem schnell bewegen. Diese Bewegung könnte erheblich dazu beitragen, dass die Kräfte, die den Kern zusammenhalten, so stark sind. Diese schnellen Nukleonen wurden aber noch nie beobachtet. Das versuchen wir hier.“ Dafür schießen die Wissenschaftler Protonen auf Targets aus Kohlenstoff- und Sauerstoffverbindungen. Die leichten Protonen werden von den Nukleonen im Atomkern des Sauerstoffs oder Kohlenstoffs abgelenkt. Treffen sie auf ein Nukleon, dass sich so schnell bewegt, wie die Forscher vermuten, wird es in ungewöhnlichen – “funny“ – Winkeln weggestoßen.

Vier Peaks. Bild: GSI
Vier Peaks. Bild: GSI

Vier Peaks in einem Spektrum zeigen, dass das Experiment läuft: Ein Peak für die Kohlenstoff-, einer für die Sauerstoffionen, einer für das Reaktionsprodukt Deuterium und einer für die Protonen aus dem Strahl. Drei Wochen sind Tanihata und seine Kollegen aus Japan, Frankreich, Spanien, Schweden, Slowenien und Malaysia bei GSI zu Gast, um das Experiment vorzubereiten und durchzuführen.

Labyrinth

Verschlungene Wege zum HKR. Bild: GSI
Verschlungene Wege zum HKR. Bild: GSI

17.30 Uhr. Nach kurzer Zeit ist die Messreihe bei 600 MeV abgeschlossen. Um die höhere Energie einzustellen, machen sich einige Experimentatoren auf zum Hauptkontrollraum (HKR), unter ihnen auch Gita und ich. Die Wege durch die GSI-Hallen erinnern mich auch nach zwei Jahren noch an ein Labyrinth. Durch Rechnerhallen, über Lichtgitter-Gänge, an Betonblöcken vorbei. Den Weg, den wir heute nehmen, kannte ich bisher noch nicht.

Logbuch

Nur fünf Minuten dauert der Energie-Wechsel im HKR. Bild: GSI
Nur fünf Minuten dauert der Energie-Wechsel im HKR. Bild: GSI

Im HKR angekommen, ändern die Operateure einige Einstellungen und schon ist die Energie erhöht. Auf einigen Monitoren erscheinen Kurven. „Ok, das kannst du drucken.“ Ich schaue mich erstaunt um. Wofür wird denn hier noch der Ausdruck einer Kurve gebraucht? Erst jetzt fällt mir das Buch auf, das Ong Hooi Jin mitgebracht hat.

Essentiell: das Logbuch. Bild: GSI
Essentiell: das Logbuch. Bild: GSI

Es ist das Logbuch des Experiments. Ong Hooi Jin aus Malaysia ist der Schichtleiter. Er trägt alle Vorgänge und Aktionen während seiner Schicht in das Buch ein. Fein säuberlich schneidet er den Ausdruck der Kurve aus und klebt sie in das Buch ein. Datum dazu, fertig. „Das machen wir immer noch analog“, sagt Ong. „Das ist einfach sicherer, wenn so viele verschiedene Menschen das Experiment betreuen.“

Tag-Nacht-Rhythmus der Magnete

Kekse, Trockenfrüchte, Brot und Schokolade helfen durch die anstrengende Strahlzeit. Bild: GSI
Kekse, Trockenfrüchte, Brot und Schokolade helfen durch die anstrengende Strahlzeit. Bild: GSI

18.15 Uhr. Zurück im Kontrollraum kehrt etwas Ruhe ein. In den nächsten Stunden müssen Ong, Gita und ihre Kollegen darauf achten, dass der Strahl auf das Target gerichtet bleibt. Wird es Abend, müssen sie besonders aufpassen. „Dann wird es kühler. Die Magnete im Beschleuniger verändern sich dadurch minimal und unter Umständen trifft dann der Strahl nicht mehr exakt das Target. Wir müssen also immer wieder nachjustieren, um den Tag-Nacht-Rhythmus auszugleichen.“

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