Herzzellen im Ionenstrahl

Herzzellen unterm Mikroskop. Bild: GSI

Mittwoch, 23. Juli. Heute werden Mäuse-Herzzellen mit Kohlenstoff-Ionen bestrahlt. Das will ich mir nicht entgehen lassen, stelle mir den Wecker auf 3:30 Uhr und schwinge mich auf mein Fahrrad, um rechtzeitig um 4:00 Uhr bei GSI zu sein.

Grüne Punkte zeigen, wo der Strahl entlang gefahren ist. Bild: GSI
Grüne Punkte zeigen, wo der Strahl entlang gefahren ist. Bild: GSI

Auf dem Gelände angekommen, treffe ich Sylvia Ritter aus dem Biophysik-Team. Auch sie ist mitten in der Nacht aufgestanden, um bei dem Experiment mit den Herzzellen zu helfen. Sie hat zwei Tassen Kaffee dabei und wird im Kontrollraum schon sehnlichst erwartet. Das heutige Experiment findet in Cave M statt. Trotzdem erkenne ich im Kontrollraum von Cave M einiges wieder: Auf einer Anzeige ist zu sehen, wie der Strahl im Rastermuster über die Probe geführt wird, und grüne Punkte zeigen an, wenn genug Dosis auf einen Bereich der Probe gefallen ist.

„Yes!“

Kontrollraum von Cave M. Kekse und Pizza sind hier manchmal Lebensretter. Bild: GSI
Kontrollraum von Cave M. Kekse und Pizza sind hier manchmal Lebensretter. Bild: GSI

4:30 Uhr. Ein junger Mann in weißem Laborkittel kommt zur Tür rein: „Yes!“ ruft er und ballt die Faust. Er hat sein Experiment gerade erfolgreich beendet und die Erleichterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Er bedankt sich bei Thomas Friedrich und Michael Scholz, Strahlzeitkoordinator für die Biophysik-Experimente mit dem großen Ringbeschleuniger SIS18, und verabschiedet sich.

Ein Experiment besteht stets aus einigen Proben. Bild: GSI
Ein Experiment besteht stets aus einigen Proben. Bild: GSI

Michael und Thomas sind schon die ganze Nacht hier. Schon seit Stunden werden unterschiedliche Zellproben für verschiedenste Versuche nacheinander bestrahlt. „Machst du hier noch fertig bis um 7:00 die Ablöse kommt?“ „Okay, dafür gehst du in die Mittagssitzung?“ „Abgemacht.“ – Michael hat jetzt Feierabend. Auf die Arbeitsteilung kommt es an, wenn man ein paar Stunden Schlaf ergattern will. Die Mittagssitzung ist ein tägliches Treffen der Experimentatoren und Beschleuniger-Operateure in der die nächsten Stunden bis Tage des Strahlbetriebs besprochen werden. Sie ist einen eigenen Blog-Eintrag wert!

Schlagende Herzzellen

Alexander Helm betreut das Herzzellen-Experiment. Bild: GSI
Alexander Helm betreut das Herzzellen-Experiment. Bild: GSI

5:00 Uhr. In meiner ersten Nachtschicht wurde ein neues Steuerungssystem getestet. Heute werden tatsächlich Zellproben für verschiedene Biophysik-Experimente bestrahlt. Laut Plan sind als nächstes die Herzzellen an der Reihe. Das Experiment wird von Alexander Helm betreut. Er ist Postdoc bei GSI. Er untersucht, wie Bestrahlung auf Herzzellen wirkt, indem er im Anschluss die RNA aus den Zellen extrahiert. So sieht er, welche Proteine nach der Bestrahlung besonders häufig von der Zelle hergestellt werden und prüft, ob darunter sogenannte kardiotoxische Marker sind – also Proteine, die dafür bekannt sind, dass sie Herzprobleme verursachen. Zuvor durfte ich mir die Herzzellen unterm Mikroskop anschauen. Sie schlagen tatsächlich, wie ein Herz es tut.

In diesen Fläschchen werden die Zellen gezüchtet. Bild: GSI
In diesen Fläschchen werden die Zellen gezüchtet. Bild: GSI

Sylvia holt die erste Ladung Fläschchen aus dem Brutschrank. Hier werden die Zellen gelagert, weil sie eine konstante Temperatur von 37°C brauchen. Jetzt werden sie auf dem Förderband vor dem Ende des Strahlrohrs platziert. Mithilfe eines Laserstrahls wird die Höhe des Förderbands genau eingestellt.

Das beruhigende Piepsen

5:15 Uhr. Der Strahl wurde zu Beginn der Experimente in Zusammenarbeit mit den Operateuren im Hauptkontrollraum eingestellt. Deshalb muss Thomas jetzt nur noch das richtige Programm im Steuerungssystem auswählen und los geht’s. Erst als mich Thomas darauf aufmerksam macht, höre ich ein konstantes Piepsen. „Das ist das Signal dafür, dass das Steuerungssystem den Ionenstrahl vom Beschleuniger anfordert“, erklärt er. „Ich wurde schon gefragt, ob das nicht auf Dauer nervig ist. Aber im Gegenteil, es ist beruhigend, weil es bedeutet, dass alles gut läuft. Setzt es aus, schrecken wir sofort auf.“

Am Joystick

Mit dem Joystick fahre ich das nächste Fläschchen vor den Strahl. Bild: GSI
Mit dem Joystick fahre ich das nächste Fläschchen vor den Strahl. Bild: GSI

6:00 Uhr. Sylvia geht die nächste Ladung an Fläschchen im Labor holen, wo Alex sie vorbereitet. Nun fehlt jemand, der nach der Bestrahlung von einer Probe das Förderband steuert und das nächste Fläschchen vor dem Strahlrohr positioniert. „Willst du mal?“, fragt Thomas mich. Da sage ich natürlich nicht Nein und bin ein bisschen stolz, während ich den Joystick bediene. Ich fahre vorsichtig nach links bis der Laserstrahl im Cave auf den Deckel des Fläschchens trifft und dieser leuchtet. Das heißt, die Flasche ist richtig positioniert. Alles läuft prima und Alex ist zufrieden. Er bestrahlt jetzt eine zweite Versuchsgruppe von Herzzellen mit Röntgenstrahlen, um die Effekte von Kohlenstoff-Ionen und Röntgenstrahlen (Photonen) vergleichen zu können. Seine Nacht ist also noch nicht vorbei. Wir werden um 7:00 Uhr von der Frühschicht abgelöst. Heute Abend gibt es die nächsten Experimente. „Da wird es hektischer zugehen als heute“, warnt mich Thomas vor. Ich bin gespannt.

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