Die erste Nachtschicht

Thomas schaut mithilfe der schwenkbaren Kamera ins Cave. Bild: GSI

Freitag, 18. Juli. Wow, die erste Nachtschicht hatte es in sich: Ich saß bis morgens um halb fünf im Kontrollraum der Biophysiker und habe miterlebt, wie ein neues Steuerungssystem für den Ionenstrahl getestet wurde. Mit ihm werden die nächsten Jahre Experimente mit Zellen durchgeführt.

20:30 Uhr. Am Freitag Abend sitze ich leicht hibbelig in meinem Büro. Die Biophysiker haben heute Nachtschicht. Zeit, mit dem Ionenstrahl zu experimentieren, ist so kostbar, dass 24 Stunden am Tag Experimente und Tests geplant sind. Das Telefon klingelt, es ist Thomas Friedrich, einer der Strahlzeitverantwortlichen aus der Biophysik: „In etwa 20 Minuten geht’s los! Dann bekommen wir Strahl.“ Das heißt für mich Sachen packen und ab Richtung Experimentierplatz Cave A (engl. Höhle). So nennen die Wissenschaftler den mit Beton abgeschirmten Messplatz.

Thomas Friedrich trifft letzte Vorbereitungen im Cave. Bild: GSI
Thomas Friedrich trifft letzte Vorbereitungen im Cave. Bild: GSI

Zunächst überprüft Thomas (hier sind alle per Du) noch einmal den Experimentaufbau. Sind die Messinstrumente richtig vor dem Ende des Strahlrohrs positioniert? Lässt sich das Förderband bewegen, ohne dass Kabel im Weg sind? Ist alles richtig angeschlossen? Check! Als nächstes steht ein kurzer Besuch im Hauptkontrollraum an. Knappe Lagebesprechung, wir teilen uns den Strahl noch mit einem anderen Experiment, kein Problem.

 Im Hauptkontrollraum. Bild: GSI
Im Hauptkontrollraum. Bild: GSI

Mit Gummibärchen und Salzbrezeln bewaffnet geht es in den Kontrollraum von Cave A. Es ist alles bereit für den Test des neuen Steuerungssystems. Es soll in Zukunft den Strahl lenken und regeln, mit dem die Zellproben bestrahlt werden sollen. Zuerst wird der Ionenstrahl von den Operateuren im Hauptkontrollraum erzeugt und beschleunigt. Wenn er die richtige Qualität hat, übernehmen die Biophysiker die Kontrolle und lenken den Strahl zum Cave. Das Steuerungssystem führt den Strahl im Rastermuster über die Zellprobe. Es sorgt dafür, dass er weiterrutscht, sobald genug Ionen auf einen Bereich der Probe getroffen sind.

Magnete zaudern

22:30 Uhr. Das vierköpfige Team sitzt in einem kleinen Kontrollraum, der ein Stockwerk über Cave A liegt. Hier ist es klimatisiert und angenehm an einem heißschwülen Sommerabend wie heute. Doch lange bin ich nicht hier. Einzelne Steuerelemente zaudern und lassen den Ionenstrahl nicht ins Cave. „Dass nicht alles auf Anhieb klappt, ist im Prinzip normal“, sagt Thomas. „Dass wir wie heute die Rufbereitschaft kommen lassen müssen, ist aber eher die Ausnahme.“ Für mich bedeutet das erst einmal warten und zurück ins Büro.

Sichtbarer als gedacht – der Ionenstrahl

Der Ionenstrahl trifft und verfärbt den Film. Bild: GSI
Der Ionenstrahl trifft und verfärbt den Film. Bild: GSI

1:00 Uhr. Thomas hält mich auf dem Laufenden. Die Rufbereitschaft tauscht unter anderem ein Netzteil aus und gegen ein Uhr nachts schnurren die Magnete und Steuerelemente wieder wie ein Kätzchen. Es kann weiter gehen. Zurück im Kontrollraum: Auf Monitoren blinkt und leuchtet es. Besonders interessant finde ich, dass man den Ionenstrahl quasi live sehen kann: einmal grafisch den Spill, quasi das, was der Beschleuniger ausspuckt, und einmal als leuchtenden, pulsierenden Punkt auf einer Scheibe, einem sogenannten Leuchttarget, das abgefilmt wird. Eine schwenkbare Kamera zeigt außerdem das Cave von innen.

Jetzt geht es daran den Strahl perfekt einzustellen. Per Telefon gibt Thomas an den Hauptkontrollraum weiter, was er sieht: Der Strahl hat eine schöne runde Form und die richtige Größe, trifft aber noch nicht genau die Mitte der Scheibe. Kurze Zeit später ist alles richtig eingestellt und per Fernsteuerung fährt Thomas das Messgerät für die Strahlendosis in Position. „Wir messen jetzt erst einmal, wie das bisher eingesetzte Steuerungssystem den Strahl lenkt. Danach darf das neue System zeigen, was es kann“, sagt Thomas. „Es ist kleiner, handlicher, einfacher zu warten und auf dem neusten Stand der Technik.“

Wissenschaftler in ihrem Element

Wissenschaftler in ihrem Element. Bild: GSI
Wissenschaftler in ihrem Element. Bild: GSI

1:30 Uhr. Wolfgang Becher, der Entwickler des neuen Systems, startet das Programm. Jetzt sind die Wissenschaftler in ihrem Element: Tipps werden abgegeben, wie präzise der eingestellte Wert wohl erreicht wird. Bei kleineren Fehlern zögern sie nicht lange, stecken Kabel um, rechnen mit dem guten alten Casio-Taschenrechner nach oder unterbrechen kurz den Ionenstrahl, um im Cave etwas anzupassen. Ich stelle fest: Experimente mit einem Teilchenbeschleuniger erfordern durchaus Handarbeit!

Erfolg zum Sonnenaufgang

Das neue Steuerungssystem. Bild: GSI
Das neue Steuerungssystem. Bild: GSI

3:30 Uhr. Meine Augen werden langsam immer schwerer – es ist mittlerweile halb vier – und meine Bewunderung für Thomas und seine Kollegen wächst. Das neue Steuerungssystem liefert einen sehr guten Strahl. Nun sehen wir in der schwenkbaren Kamera einen Film, der sich durch den Ionenstrahl verfärbt. Das ist beeindruckend, denn so direkt habe ich den Strahl bisher bei GSI noch nicht gesehen! Um halb fünf gebe ich auf und mache mich auf den Heimweg. Thomas informiert mich gegen sechs Uhr morgens, dass das neue System im Endeffekt sogar bessere Ergebnisse geliefert hat, als erwartet. In zweierlei Hinsicht ein voller Erfolg, meine erste Nachtschicht.

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