Kommentar zur Social Media-Stellungnahme der Akademien

Wissenschaftskommunikation darf auch unterhalten und Spaß machen: Viva la Relativity! Bild: Helmholtz, CC-BY 4.0
Wissenschaftskommunikation darf auch unterhalten und Spaß machen: Viva la Relativity! Bild: Helmholtz, CC-BY 4.0

Die Akademien-Arbeitsgruppe „Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien“, Phase 2 (WÖM2) legt heute in Berlin ihre Stellungnahme zum Thema „Social Media und digitale Wissenschaftskommunikation“ vor. Die Arbeitsgruppe hatte bereits 2014 (im sogenannten heißen Sommer der Wissenschaftskommunikation) einen ersten Bericht vorgelegt. Dieser klammerte jedoch aktuelle digitale Trends und insbesondere Social Media aus. Seit dem Zwischenbericht im März 2016 hat die Gruppe nun ihren Abschlussbericht verfasst. Neben einer etwa 70-seitigen Broschüre gibt es auch ein wissenschaftliches Buch zu dem Thema.

Ähnlich wie im März 2016 darf ich heute auf der Veranstaltung einen fünf-minütigen Kommentar zu diesem 70-Seiten-Papier beisteuern. Da ich genau wie vergangenes Jahr daran gescheitert bin, mein Feedback zu dem Komplex in fünf Minuten zu pressen, verblogge ich hier eine ausführliche Fassung meines Kommentars. Auch dieses Jahr muss ich wieder vorweg schicken, dass ich das ganze Thema aus der Perspektive eines Praktikers wahrnehme und kommentiere, der Wissenschaftskommunikation betreibt. Meine Einschätzungen haben daher selbst keinen wissenschaftlichen Anspruch. Ich liefere insofern für meine Aussagen nicht unbedingt Belege in Form von wissenschaftlichen Studien, sondern eher in Form von konkreten best practice-Beispielen.

Kommentar

Von den Veranstaltern wurde ich explizit gebeten, mit Kritik nicht hinterm Berg zu halten und gerne auch etwas zu provozieren. Ich will dem gerne nachkommen. Beginnen möchte ich aber mit einem ausdrücklichen Lob. Die Einführung in das Thema Social Media-Wissenschaftskommunikation (Seite 11 bis 18) halte ich für sehr gut gelungen. Auch beim Analyse-Teil (Seite 19 bis 43) kann ich bei Vielem mitgehen.

Durchweg positiv finde ich schließlich die sehr breite Definition des Begriffs „Wissenschaftskommunikation“ (Seite 20 und 21). Da heißt es: „Im weiteren Sinne umfasst Wissenschaftskommunikation alle Kommunikationsformen von und über Wissenschaft sowohl innerhalb der Wissenschaft (Fachöffentlichkeit) als auch in außerwissenschaftliche Öffentlichkeiten (Publikumsöffentlichkeit).“ Die WÖM-Arbeitsgruppe hat dabei erkannt, dass ihre viel engere Begriffsdefinition aus dem ersten Bericht von 2014 hier nicht zu halten ist. In dieser Definition ist z.B. der Wissenschaftsjournalismus auch explizit Teil der Wissenschaftskommunikation. Die Arbeitsgruppe ist damit ganz nah dran an meinem Begriffsverständnis: „Wissenschaftskommunikation ist alles, was zum Thema Wissenschaft kommuniziert wird: also Kommunikation über und an die Wissenschaft sowie von, mit und innerhalb der Wissenschaft.“ Für die Analyse der Wissenschaftskommunikation 2.0 scheint mir eine solch breite Definition unverzichtbar.

An dem folgenden Empfehlungsteil (Seite 44 bis 60, sowie deren Zusammenfassung auf Seite 1 bis 10) habe ich jedoch viel zu kritisieren. Dies stellt meine persönliche Sichtweise dar, nicht die der Helmholtz-Gemeinschaft. Einige generelle Bemerkungen zu dem Papier:

  1. Generell zeichnet sich die Stellungnahme durch ein recht pessimistisches Bild der Sozialen Netzwerke aus. Ich teile diese Social Media-kritische Grundhaltung nicht. Kommunikationstechniken haben sich immer verändert und weiterentwickelt. Der Technikwandel (Beispiel Tonfilm) führte stets zu einem Medienwandel und dieser zu einem Nutzungswandel. Damit einher geht auch die Etablierung neuer Kulturtechniken (Beispiel Wikipedia). Dies ist jedoch kein Grund zur Besorgnis. Chancen und Risiken von Social Media aufzuzählen – klar. Aber dies in einem Grundton zu tun, der unterschwellig mitschwingen lässt, wir hätten eine Ausstiegsoption aus Social Media, verwundert mich. Es ist 2017 und Soziale Netzwerke gehen so schnell nicht wieder weg. Sie werden sich zwar wandeln, aber das Bedürfnis, dass Menschen sich digital-interaktiv miteinander austauschen wollen, wird bleiben. Eine „wir gehen nicht auf Facebook“-Denkweise, wie ich sie bei manchen Organisationen erlebe, ist einer reine Vogel-Strauß-Taktik. Ein in den Sand gesteckter Kopf löst aber das Problem nicht, dass Menschen über unsere Organisationen reden – auch auf Facebook. Im Sinne des Themen- und Krisenmonitorings ist es aus meiner Erfahrung heraus viel besser, in die Netzwerke zu gehen, um mitzubekommen, wenn dort über uns gesprochen wird und um dann schon eine Community aufgebaut zu haben und gelernt zu haben, wie man darauf auch aktiv reagieren kann.
  2. Die Stellungnahme legt großes Gewicht auf die Phänomene Fake News und Filterblasen, die insbesondere seit der jüngsten US-Wahl im Netz ausführlich diskutiert werden (z.B. auf Seite 37f.). Für die Sozialen Netzwerke sind diese Phänomene ein reales Problem. In meiner Wahrnehmung trifft dies aber auf die Wissenschaftskommunikation in Social Media – und noch dazu die deutschsprachige – nur in viel geringerem Umfang zu. Verglichen mit den Hasspostings, Beleidigungen, Androhungen von Gewalt etc., denen sich politische Aktivisten in repressiven Staaten ausgesetzt sehen, oder der Hassrede in feministischen Diskursen oder der Geflüchteten-Thematik ist die deutschsprachige Wissenschaftskommunikation eine Blümchenwiese der Web 2.0-Kommunikation. Klar, ich kenne die Gegenbeispiele: Klimawandel-Leugner, Impfverweigerer, radikale Tierschützer, etc. Aber meiner Wahrnehmung nach ist die Gewichtung der Fake News-Debatte im vorliegenden Papier übertrieben groß im Vergleich zu den real vorhandenen (oder eben nicht vorhandenen) Problemen. Diese „Verflachung und Verrohung des öffentlichen Diskurses“ (Seite 30) hängt im Übrigen auch sehr von den Medien ab. Bei Podcasts beobachte ich gerade das genaue Gegenteil. Ich persönlich bin der Fake News-Debatte jedenfalls dankbar, weil sie klar macht, dass jeder Mediennutzer alle Botschaften kritisch hinterfragen muss – Stichwort: Medienkompetenz.
  3. Auch einen zweiten Gewichtungsaspekt sehe ich an der Stellungnahme kritisch: Die Empfehlungen beziehen sich fast ausnahmslos auf Social Media-Kommunikation mit Intermediären – also die Plattformbetreiber wie Facebook, Youtube, Instagram, Twitter, etc. Diese Plattformen und ihre Probleme sind zweifellos ein wichtiges Thema. Die intermediär-lose Web 2.0-Wissenschaftskommunikation kommt mir hier aber viel zu kurz. Los ging das Web 2.0 vor mehr als zehn Jahren ja mit Blogs, Wikis, Diskussionsforen und Podcasts. Und diese kommunizieren direkt vom Anbieter zum Nutzer und der kann sich z.B. über Kommentare wieder einbringen. Dafür braucht es nur eine Internetverbindung. Zu diesem Themenbereich hätte ich mir einen sehr viel ausführlicheren Schwerpunkt und auch Empfehlungen gewünscht. Angesichts der Reichweiten-Relevanz finde ich, dass die Wikipedia mit ihren Chancen für die Wissenschaftskommunikation (Beispiel: Wikipedians in Residence) hier viel zu kurz kommt. Ebenso wie Webcomics und die Audiopodcasts, die ein ganz eigenes Kommunikations-Ökosystem darstellen, das leider oft komplett ausgeblendet wird.
  4. In der Stellungnahme gibt es viele Vorschläge zur Regulierung von Plattformen. Wenn man allerdings schon ein so großes Fass aufmacht wie das, die Algorithmen der Intermediäre politisch regulieren zu wollen oder gar eine unabhängige Plattform für Wissenschaftskommunikation mit eigener Redaktion aufbauen zu wollen, dann gehe ich mal einen Schritt weiter: Wieso fördern Staat, Gesellschaft und Wissenschaft (wie auch andere gesellschaftliche Sub-Systeme) nicht freie Social Media-Infrastrukturen? (Nota bene: Er soll sie nicht betreiben, sondern nur fördern.) Ich stelle mir das so vor: Die NutzerInnen wollen digital mit ihren Freunden interagieren und News bekommen. Dies ist durch die Plattformen momentan an das Geschäftsmodell von privaten Firmen gekoppelt. Angesichts der gesellschaftlichen Relevanz dieser Tätigkeit (die in der Stellungnahme schön dargestellt ist, z.B. Seite 33, 44) könnte der Staat dies als Daseinsvorsorge begreifen. Die Nutzer müssten dann nicht mehr das Produkt sein, das Facebook et al. an die Werbeindustrie vermarktet, sondern sie könnten wirklich Kunden sein. Dafür müssten sie allerdings etwas für diese Dienstleistung (Serverbetrieb, Softwareupdates) bezahlen. Damit das Leute auch tun, braucht es Wertschätzung und Verständnis dafür, dass eine dezentrale nicht-kommerzielle (im Sinne von: mit Gewinnerzielungsabsicht) Infrastruktur für Soziale Netzwerke für alle von Vorteil ist. Diesen Verständniswandel herbeizuführen, sehe ich als Aufgabe aller an: Lieschen Müller, die Bildungseinrichtungen, die Politik. So etwas könnte ich mir gut als Empfehlung in diesem Kontext vorstellen. Das klingt unrealistisch? Nunja, bei einem anderen Punkt unser alltäglichen Digital-Kommunikation ist dies ganz normal und niemand denkt groß darüber nach. E-Mail ist ein freier dezentraler, nicht-kommerzieller Dienst. Am Anfang war die Definition eines Standards und dann konnte sich jeder einen E-Mail-Server hinstellen. Jede Uni betreibt einen solchen Mailserver. Aber auch Lieschen Müller kann sich einen eigenen Mailserver als kleine Plastikbox neben ihren DSL-Router zuhause in den Flur stellen. Sie nimmt dann an einem weltweiten Peer-to-Peer-Netzwerk teil, bei dem es keine Intermediäre gibt, keine zentrale Plattform, die das Sagen über Algorithmen etc. hat. Ganz analog funktionieren auch dezentrale Social Media ohne Gewinnerzielungsabsicht, wie z.B. Diaspora und Mastadon. Und ja klar: Diese Initiativen haben bislang nicht viele Nutzer. Auch die Idee von App.Net, die Nutzer mit Geld statt mit ihren Daten für eine Social Media-Dienstleistung bezahlen zu lassen, hat marktwirtschaftlich nicht funktioniert. Aber wenn wir hier schon große Fässer aufmachen, dann auch dieses: Die Politik sollte dezentrale freie Infrastrukturprojekte für Social Media fördern und die Wissenschaft sollte prüfen, ob sie solche ähnliche wie E-Mailserver auch betreibt. Für einige XMPP-Chatserver ist dies bereits der Fall. Social Media müssen nicht an das Geschäftsmodell von privaten Firmen gekoppelt sein – sie ließen sich davon lösen. Ich sehe dies in Analogie zur Open Science-Bewegung als einen wichtigen Schritt für die Wissenschaftsorganisationen.
  5. Neben der Förderung der IT-Seite freier, dezentraler Netzwerke ist meiner Meinung nach auch die Förderung inhaltlicher Graswurzel-Wissenschaftskommunikationsprojekte zu bedenken (auf Seite 36 nur ganz kurz angesprochen), die nicht aus der Riege der üblichen Absender stammen wie Journalismus, Öffentlichkeitsarbeit, Politik, etc. Es gibt viele bürgerjournalistische Initiativen in der Wissenschaftskommunikation 2.0, die ich für förderungswürdig halte. Zum Beispiel die GWUP, die zu den wenigen Playern gehört, die in Social Media aktive Gegenrede zum Beispiel gegen Impfmythen betreibt. Auch viele Wissenschaftsyoutube-Kanäle, Wissenschaftsblogs und Wissenschaftspodcasts von privaten Enthusiasten sehe ich als unterstützenswert an – genau wie Meta-Projekte wie zum Beispiel wissenschaftspodcasts.de – ein Aggregationsportal für Wissenschaftspodcasts. Auch das ist Wissenschaftskommunikation 2.0. Dieser Punkt wird auf Seite 45 leider nur sehr knapp angerissen.
  6. Bei den Empfehlungen an die Politik vermisse ich einen zentralen Punkt: Neben den Social Network Sites (SNS) als Intermediären ist bei der Social Media-Kommunikation immer noch ein Dritter mit im Boot: der Internetprovider (ISP). Ihn braucht jeder Nutzer, um eine Internetverbindung aufzubauen – auch zu intermediärlosen Diensten wie Podcasts und Blogs. Das Verhalten der ISP beim Durchleiten der Daten ist daher von erheblicher Bedeutung und leider zur Zeit stark umkämpft. Stichwort: Netzneutralität und Zero-Rating. Ich sehe es auch für die Social Media-Wissenschaftskommunikation als wichtige Forderung an die Politik an, die ISPs zur Netzneutralität zu verpflichten. Ein weiterer politisch wichtiger Aspekt wäre die Einführung einer fair use-Regelung ins europäische Urheberrecht, sowie die Verankerung der Netzzungangs im Existenzminimum zur gesellschaftlichen Teilhabe.
  7. Viele Empfehlungen der Arbeitsgruppe beziehen sich nicht auf Social Media (Web 2.0), sondern auf die klassische Online-Kommunikation (Web 1.0). Auch wenn hier einige bei WÖM1 nicht beachtete Punkte nachzuholen waren, vermisse ich einige wesentlichen Aspekte der Social Media-Wissenschaftskommunikation. Was empfiehlt die Arbeitsgruppe zum Beispiel bezüglich des Themas DarkSocial (also der 2.0-Kommunikation in geschlossenen Gruppen und Chats wie z.B. WhatsApp)? Was sagen die Experten zu einer Studienberatung über WhatsApp? Welchen Umgang empfiehlt die Arbeitsgruppe mit Facebook-Werbung, also der Reichweitenvergrößerung auf Plattformen durch Bezahlen? Wenn Social Media das Ohr der Wissenschaft in die Gesellschaft hinein sein kann, wie sollte die Wissenschaft diesen Input dann aufnehmen? Wie sollte die Wissenschaft mit der Wikipedia umgehen? Das komplette Fehlen eines Hinweises auf offene Lizenzen wie Creative Commons in der Stellungnahme, empfinde ich als Manko.
  8. Die zweite Empfehlung an die Politik lautet, eine unabhängige Plattform inklusive einer zuständigen Redaktion für die Social Media-Wissenschaftskommunikation zu erschaffen. Ich sehe ein solches – nennen wir es einmal – Science Social Media Center (S2MC) kritisch. Der Aufwand für die Erstellung und den Betrieb einer solchen Plattform klingt gigantisch. Und die Nutzer gehen halt auch nur in die Sozialen Netzwerke, in denen ihre Freunde sind. Daher hat sich z.B. WhatsApp in Deutschland zum Chatten durchgesetzt, obwohl es z.B. bezüglich der Verschlüsselung und des Datenschutzes sehr viel bessere Konkurrenten gab. Meine Erfahrung nach neun Jahren Social Media-Wissenschaftskommunikation sagt mir, dass die Nutzer über eine solche S2MC-App im AppStore hinwegwischen werden, weil niemand von ihren Freunden da drin ist. Ein solches S2MC würde keinen User von SnapChat/WhatsApp/Facebook wegziehen. Das Geld (wer würde das eigentlich bezahlen?) würde ich lieber in freie Infrastruktur investiert sehen.
  9. Was ich mit Verwunderung in der gesamten Stellungnahme wahrnehme, ist der sehr schwarz-weiß gezeichnete Unterschied zwischen den heeren Absichten des Wissenschaftsjournalismus und den manipulativen Intentionen der institutionell-externen Wissenschaftskommunikation. Darüberhinaus wird an vielen Stellen suggeriert, die institutionell-externe Wissenschaftskommunikation trage Schuld am Rückgang der wissenschaftsjournalistischen Angebote (Seite 39, 50, 51). Ich hatte ja gehofft, diese Rollenverteilung hätte nach WÖM1 ihr Ende gefunden. Die Wissenschaftsorganisationen können IMHO das Geschäftsmodellproblem des Wissenschaftsjournalismus nicht lösen. Der Journalismus ist außerdem auch dem Social Media-Wandel unterworfen. Das junge Angebot von ARD und ZDF „funk“ macht auch schon sehr gute Youtube-Wissenschaftskommunikation. Und aus Sicht der Nutzer vermisse ich eine Wesentliche Forderung an den Journalismus: Die Werbenetzwerke verbreiten über die Onlineseiten der Verlage mittlerweile Schadsoftware, die die Computer der (werbeblockerlosen) Verbraucher signifikant gefährden. Die Verlage sollten ihre Nutzer davor beschützen und die Online-Techniken ihrer Displaywerbung ändern.
  10. Viele Empfehlungen an die Wissenschaft bezüglich der Social Media-Kommunikation beziehen sich explizit auf „Informationen“ (z.B. Seite 19, 44). Natürlich veröffentlichen wir auch Informationen. Aber eben nicht nur. Die institutionell-externe Wissenschaftskommunikation 2.0 besteht auch aus Unterhaltung. Sie will begeistern. Sie transportiert die Faszination der ForscherInnen für ihre Arbeit. Und sie darf auch Spaß machen. Mir ist unklar, wie solche Elemente der Kommunikation durch Verhaltenskodizes reglementiert werden sollen.

Videomitschnitt der Veranstaltung

Video: acatech (mein Kommentar ab 54’40)

Neben diesen generellen Kommentaren zum Papier möchte ich noch auf einige konkrete Textstellen eingehen:

  • Reichweite-Zahlen: Auf Seite 32 wird behauptet, I fucking love Science liege auf Augenhöhe mit den Facebook-Reichweiten journalistischen Medien wie wired.com, scientificamerican.com oder newscientist,com. Tatsächlich liegt IFLS mit 25 Mio. Facebook-Fans eine ganze Größenordnung über den anderen drei genannten (2,5 / 2,8 und 3,5 Mio.).
  • Social Media-Experimente: Positiv möchte ich folgenden Absatz herausgreifen (Seite 38): „Neben der Wissensvermittlung und Selbstdarstellung ergeben sich über Social Media aber zusätzliche Möglichkeiten, neue Formen der Zielgruppen-Kommunikation, des Dialogs etc. zu entwickeln und zu erproben. Insoweit wird empfohlen, Experimente zur Nutzung von Social-Media-Anbietern durchzuführen – oder bestehende Experimente systematischer zu begleiten und zu evaluieren.“ Das unterschreibe ich sofort. Und das ist auch das, was wir seit Jahren in der Wissenschaftskommunikation 2.0 tun.
  • Forscher sollen forschen: Auf Seite 41 heißt es, es „könnten zudem orginär für den eigentlichen Forschungsprozess vorgesehene Kapazitäten von Wissenschaftlern verlagert werden“. Aber was wäre denn die Alternative? Wissenschaftsorganisationen, die Ihrer Forschenden keine Presseanfragen mehr beantworten lassen und ihnen Blogverbot aussprechen? Ich denke nicht. Der gesellschaftliche Trend geht immer mehr hin zur Offenheit und Transparenz. Wir als öffentlich finanzierte Einrichtungen müssen den BürgerInnen und SteuerzahlerInnen erklären, was wir warum tun. Daran müssen sich auch die Forschenden beteiligen.
  • Empfehlung 3 (Seite 48): Die Forderung nach einer Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks unterschreibe ich sofort. Die Idee mit den crossmedialen Angeboten scheitert in der Praxis jedoch leider am Wörtchen „sendungsbezogen“. Nur solche Inhalte dürfen die Sender ins Netz stellen. Ausgedacht haben sich das die Ministerpräsidenten ebenso wie die aus meiner Sicht unsinnige Depublikationspflicht – Stichwort: Rundfunkänderungsstaatsvertrag.
  • Empfehlung 4 (Seite 49): Ich habe schon bei WÖM1 nicht verstanden, was am Thema so besonders ist (sage ich als Wissenschaftskommunikator), dass es dafür einen eigenen Wissenschaftspresserat bräuchte. Wieso der Wissenschaftsjournalismus nun speziell nach dem Modell der Forschungsförderung gefördert werden soll, erschließt sich mir im Vergleich zu anderen Journalismusformen nicht. Sicher: Wir brauchen einen unabhängigen, funktionierenden, kritischen Wissenschaftsjournalismus. Aber da die Wissenschaft auch Teil unserer Kultur ist – wieso sollten dem Kulturjournalismus solche Förderungsmöglichkeiten nicht offen stehen?
  • Empfehlungen an die Wissenschaft (Seite 49f.): Dass die „Maximierung bloßer Aufmerksamkeit“ eine „Pervertierung“ (Seite 50) darstellt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir wollen als gesellschaftliches Sub-System und als Wissenschaftsorganisation transparent und ansprechbar für die Menschen sein – auf allen Wegen, die sie benutzen wollen. Deswegen hat man in den 90ern Webseiten aufgesetzt und deswegen kommunizieren wir nun auch in Sozialen Netzwerken. Unsere Social Media-Kommunikationsstrategie stellt uns explizit diese Aufgabe. Dass „mediale Popularität einen vergleichbaren oder gar höheren Stellenwert als innerwissenschaftliche Reputation erlangt“ (Seite 50), dafür sehe ich in meiner täglichen Arbeit keine Beispiele. Mich würde Belege für diese These interessieren.
  • Empfehlung 5 (Seite 50): Mir ist leider nicht klar, welche falschen Anreize die institutionelle Wissenschaftskommunikation konkret vermeiden soll. Die auf Seite 51 folgenden Darstellung muss ich komplett widersprechen. Natürlich betreiben wir Kosten-Nutzen-Analysen. Aber auf Social Media-Kommunikation im Jahre 2017 verzichten? „Angesichts des zu beobachtenden (etwa im Hinblick auf Verständlichkeit) eher anspruchsvollen Niveaus vieler Angebote aus der Wissenschaft ist die Wahrscheinlichkeit gelingender Direktkommunikation an eine breite Öffentlichkeit in vielen Fällen womöglich geringer als über den Weg des professionellen Wissenschaftsjournalismus.“ (Seite 51) Dazu mal ein konkretes Beispiel: Als die Menschheit am 12. November 2014 erstmals eine menschengemachtes Objekt auf einem Kometen landete, da guckten diesen Livestream der ESA weltweit 8 Mio. Menschen.
  • Empfehlung 6 (Seite 52): Kosten und Nutzen abwägen – hier wird ein „Übergreifen der Medienlogik auf die Kernaufgaben in Forschung und Lehre“ befürchtet (vgl. Seite 41). Das sehe ich konträr: Ich finde wir brauchen in Deutschland von vorne herein eingeplante Zeit- und Budget-Anteile von Forschungsprojekten für Öffentlichkeitsarbeit. Die Forschenden müssen Zeit haben, ihren Geldgebern (also den Steuerzahlern) zu erklären, was wir mit ihren Gelder machen.
  • Empfehlung 7 (Seite 53): Wissenschaftler sollen klar, machen in welcher Rolle sie gerade sprechen. Das klingt auf den ersten Blick gut. Allerdings hat man mit der Ergänzung „Und das sage ich in meiner Rolle als Wissenschaftler“ bereits 52 von 140 Zeichen eines Tweets verbraucht. Wie soll das konkret funktionieren? Kommunikation und Marketing trennen: Das klingt für mich sehr wünschenswert. Der Teufel liegt allerdings im Detail und die Grenzen sind fließend.
  • Empfehlung 8 (Seite 54): Social Media-Verhaltenskodex: Für wen soll der gelten? Für die Forschenden oder die Öffentlichkeitsarbeiter? Auch für (Bürger-)Journalisten und Graswurzel-Wissenschaftskommunikatoren? Bei einem „qualitätsorientierten Verhaltenskodex“ stellt sich natürlich sofort die Frage: Was ist Qualität? Die Qualität einzelner Kommunikationsakte (ein Youtube-Video, ein Instagram-Bild, ein Facebook-Posting, ein Tweet) hängt meiner Meinung nach stark von der Intention des jeweiligen Beitrags und der dahinter stehenden Social Media-Kommunikationsstrategie ab. Sprich: Welche Ziele will ich mit einem Beitrag erreichen? Nur danach kann man Qualität bewerten. Die Ziele und Strategien drüften jedoch bei unterschiedlichen Playern stark variieren.
  • Empfehlung 9 (Seite 54): Technikfolgenabschätzung: D’accord. Deswegen schreibe ich zum Beispiel seit dreieinhalb Jahren regelmäßig die Augenspiegel-Kolumne.
  • Forschungsbedarf (Seite 56f.): Hier würde ich explizit ergänzen: Das Genre Wissenschafts-Audiopodcasts gilt es zu erforschen.

Update 19.00 Uhr: Inzwischen sind auch mehrere andere Kommentare zum WÖM2-Papier erschienen: von Annette Lessmöllmann, Markus Weißkopf, Beatrice Lugger und Lars Fischer, Mareike König, Martin Schneider, Julia Wandt, Reiner Korbmann und  Markus Pössel, Christopher Schrader, Julia Metag, Kristin Oswald.

Zusammengefasst in 100 Sekunden

Update 17.11.2017: Die PressesprecherInnen der Helmholtz-Gemeinschaft haben ein dreiseitiges Papier veröffentlicht, in dem sie auf die WÖM2-Stellungnahme der Akademien zu „Social Media und digitale #Wissenschaftskommunikation“ eingehen.

Leser:innenkommentare (4)

  1. Augenspiegel 27-17: Sind manche Daten gleicher? - Augenspiegel

    […] Woche habe ich ausführlich über die Stellungnahme der Akademien zur Social Media-Wissenschaftskommunikation gebloggt. Hier wollte ich gerne auf viele weitere Kommentare und Einschätzungen hinweisen: von […]

  2. Young Academics at FAU | #WÖM und #Wisskom: Entwicklungen zum Thema „Wissenschaftskommunikation“

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