Augenspiegel 29-14: Entmischen impossible, Luftpolsterfolie und Müller-Lüdenscheidt im All

Luftpolsterfolie als günstiger Reagenzglas-Ersatz - Bild: American Chemical Society
Luftpolsterfolie als günstiger Reagenzglas-Ersatz – Bild: American Chemical Society

Die Kunst des Improvisierens lernt wohl jeder Forschende automatisch, wenn es im Labor einmal nicht  nach Schema F abläuft. Das Team um David Bwambok von der Harvard University war etwa neulich auf der Suche nach einer Möglichkeit, viele kleine Flüssigkeitsproben zu lagern. Ob es am mangelnden Platz lag, am nötigen Reinigungsaufwand oder den Kosten, warum sie sich gegen eine große Menge Reagenzgläser entschieden, ist nicht bekannt – jedenfalls entwickelte die Gruppe eine Technik, die Flüssigkeiten in Luftpolsterfolie zu lagern: Dazu werden zwei dünne Röhrchen in eine Blase eingeführt, über die eine wird die Flüssigkeit injiziert, über die andere entweicht die Luft. Nach dem Versiegeln erhält man eine sehr kostengünstige Reagenzglas-Alternative. Und die übrig gebliebene Luftpolsterfolie kann man dann zur Entspannung nutzen, um die Bläschen zwischen den Fingern zu zerdrücken, wenn die Experimente mal wieder nicht so wollen, wie man sich das vorgestellt hatte. [/via]

A Capella Science goes Rap

Physik-Student Tim Blais hat viele Talente. Neben seiner Naturwissenschaftlichen Begabung kann er auch gut singen, Lieder auf wissenschaftliche Themen umtexten und Musikvideos drehen und produzieren. All das macht er ganz alleine in seinem Wohnzimmer unter der Marke „A Capella Science“. Gestern stellte er diese großartige Eminem-Parodie online:

Video: A Capella Science (Tim Blais). 

In den vergangenen zwei Jahren hat Tim Blais mindestens ebenso sehens- und hörenswerte Wissenschaftsadaptionen bekannter Songs aufgenommen: Rolling the Higgs, Bohemian Gravity und Massless. Ein ganz toller Weg, die Wissenschaftsbegeisterung rüberzubringen finde ich.

Rückblick und Ausblick zum 60.

Diese Woche  schrieb eine Person des öffentlichen Lebens zu ihrem 60. Geburtstag: „Jetzt, da mich dieses ‚Schicksal‘ ebenso ereilt hat und ich in Zukunft vielleicht Seniorenteller und Vergünstigungen am Skilift genießen darf, ist es Zeit zurück zu schauen, um die Zukunft vorzubereiten, im privaten wie im beruflichen Bereich“. Die Worte stammen von Angela Jan Wörner, dem DLR-Chef und damit so etwas wie dem obersten deutschen Raumfahrer. In seinem heutigen Blogbeitrag wirft er einen persönlichen Blick zurück auf seine seine sieben Jahre im DLR sowie einen Blick voraus. Außerdem stellt er die Gesamtstrategie des DLR vor. Das Dokument ist ab sofort öffentlich einsehbar. Offenlegung: Ich habe von 2006 bis 2012 für das DLR gearbeitet.

Der Quietscheentchen-Komet

Komet 67P in Rotation am 14. Juli 2014. Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA
Komet 67P in Rotation am 14. Juli 2014. Bild: ESA/Rosetta/MPS for OSIRIS Team MPS/UPD/LAM/IAA/SSO/INTA/UPM/DASP/IDA

Eigentlich heißt er ja „67P/Churyumov-Gerasimenko“, aber das kann kaum jemand richtig aussprechen. Manche Raumfahrer nennen den Kometen daher liebevoll „Cherry-Gerry“. Er ist das Ziel der europäischen Sonde Rosetta, die ihn am 6. August 2014 erreichen und in eine Umlaufbahn um ihn soll. Aktuelle Bilder der Navigationskamera von Rosetta zeigen nun erste, noch recht pixelige Aufnahmen dieses urzeitlichen Brockens, der etwa vier Kilometer groß ist und wie ein schmutziger Schneeball aus Eis und Staub besteht. Genaueres soll die Landesonde Philae herausfinden, die im November 2014 auf dem Kometen landen soll. Dass diese (noch niemals zuvor durchgeführte) Landung womöglich komplizierter werden könnte als gedacht, zeigen die neuen Bilder von Cherry-Gerry. Denn dieser besteht scheinbar nicht aus einem einzigen kartoffelartigen Körper, sondern sieht in den Aufnahmen wie ein aus zwei Hauptteilen zusammengesetzter Schneemann aus – oder wie eine Badeente. Angesichts dessen kam schon der Vorschlag auf, den Kometen in Müller-Lüdenscheidt umzubenennen – ein Doppelname, der zumindest für deutschen Zungen wesentliche einfacher auszusprechen wäre.

Neben diesen spannenden astronomischen und humoristischen Erkenntnissen entstand jedoch auch eine Diskussion darüber, wie schnell Daten und Bilder der Rosetta-Mission veröffentlicht werden. Die hier gezeigten Bilder waren zunächst versehentlich auf der Webseite der französischen Raumfahrtorganisation CNES erschienen und sogleich von mehreren Blogs übernommen worden. Da es sich laut ESA um eine „ungeplante Veröffentlichung“ handelte, nahm CNES die Bilder wieder offline. Das Portal Raumfahrer.net, eine Gruppe von privaten Raumfahrtenthusiasten und -interessierten, stellte daraufhin ein zuvor bereits an die Rosetta-Verantwortlichen geschicktes Schreiben als offenen Brief online. Darin fordern sie das Rosetta-Team auf, die Daten und Bilder der Mission möglichst zeitnah und umfangreich für alle Interessierten ins Netz zu stellen. Die ESA reagierte mit einem Beitrag im Rosetta-Blog. Darin erklären Rosetta-Missionsmanager Fred Jansen und Kollegen, dass die Veröffentlichung in wissenschaftlichen Fachaufsätzen Priorität habe und die Projektteams sich die Daten durch ein zu frühes Onlinestellen nicht von Dritten wegnehmen lassen wollen. Diese so genannte Data Policy stieß sogleich auf Kritik als auch auf Zustimmung. ESA-Mitarbeiter Michael Khan wies in seinem Blog darauf hin, dass die ESA gar nicht unbedingt die Hoheit habe, die Data Policy allein festzulegen oder eine seit Jahren mit Partnern vereinbarte Leitlinie zu ändern, da viele Beobachtungsinstrumente an Bord des Raumschiffs von einzelnen Forschergruppen etwa an Max Planck-Instituten (oder Kollaborationen mehrer Institutionen) betrieben werden. Sehr nachvollziehbar scheint mir der Kompromissvorschlag von Jonathan McDowell in den Kommentaren des Rosetta-Blogs zu sein, die Bilder des Kometen sofort zu veröffentlichen – allerdings ohne die Metadaten, was ein „Klauen“ der Informationen  durch Dritte sowie eine Fremdveröffentlichung unmöglich machen sollte.

Weitere Details gibt es im Storify von Karl Urban, der Raumfahrt-Journalist ist und als Mitbegründer von Raumfahrer.net auch den offenen Brief mit unterzeichnet hat. Unterdessen hat die ESA einen Fotowettbewerb zum Thema Rosetta gestartet, Thema: „Sind wir schon da?“ Update 22. 7.: Auch Ludmila Carone hat dazu etwas gebloggt.

Entmischen impossible

Wissen Sie eigentlich wie die Verschlüsselung ihres Online-Bankings funktioniert? Seit den Enthüllungen Edward Snowdens ist das mathematische Prinzip hinter der aktuellen Computer-Verschlüsselung in vielen Texten erklärt worden. Da geht es dann um große Primzahlen, die sich zwar einfach miteinander multiplizieren lassen – die dabei enstehende noch größere Zahl lässt sich aber nur mit unvorstellbar großem Aufwand wieder in ihre (Primzahl)-Bestandteile zerlegen, wenn man diese nicht kennt. Da diese Erkenntnis für Nicht-Mathematiker nicht unbedingt sofort einleuchtend ist, sind Autorinnen und Autoren an dieser Stelle oft auf der Suche nach passenden Analogien. Eine mir besonders gut erscheinende fand ich diese Woche im Mathe-Blog von Zeit Online von Christian Hesse. Statt den zwei Primzahlen und deren Multiplikation stelle man sich zwei Farben vor. Will man eine schützenswürdige Information übertragen (z.B. die Farbe rot beziehungsweise die erste große Primzahl), dann mischt man sie einer anderen Farbe z.B. Gelb, deren genauer Farbwert (die andere Primzahl) nur dem Empfänger bekannt ist, dann ist das Ergebnis ein gewisser Orangeton. Diesen kann der Absender an den Empfänger übertragen, der die Ursprungsinformation (die Farbe rot) wieder entschlüsseln kann, in dem er dem Orange die ihm bekannten Gelb-Anteile entzieht. Ein mitlauschender Angreifer könnte diesen Farb-Entmischungsprozess nicht nachvollziehen, da ihm dazu die Information über den Farbwert fehlt, den er herausrechnen müsste. Eine sehr gute Analogie!

Kurz verlinkt

Schließlich noch drei kurze Lese-Tipps für diese Woche: Christian Strippel bloggt über akademische Street Credibility, Manfred Ronzheimer schreibt in der taz über die erste Citizen-Science-Konferenz in Deutschland und Alexander Lerchel beantwortet im Jubiläums-Laborjournal die Frage: Was tun bei Forschungsfälschung?

Außerdem ging gerade mit dem AWI-Eisblog das achte Blog in den Helmholtz Blogs online, worüber ich mich sehr freue. Unbestätigten Gerüchten zufolge folgt das nächste wissenschaftliche Blog eines bislang noch nicht bei uns bloggenden Helmholtz-Zentrums bereits kommende Woche. Mit dann neun Blogs haben wir uns seit dem Launch vor sieben Monaten bereits verdreifacht. Über weitere Blog-Willige aus dem Helmholtz-Universum freue ich mich immer.

Die Augenspiegel-Kolumne

Die wöchentliche Kolumne „Augenspiegel – Webfundstücke rund um die Wissenschaft“ erscheint freitags im Blogportal der Helmholtz-Gemeinschaft. Darin stellt Henning Krause, Social Media Manager in der Helmholtz-Geschäftsstelle, Internetfundstücke aus dem Web 1.0 und dem Web 2.0 vor, die zeigen, wie sich der gesellschaftliche Diskurs um Wissenschaft im Internet abspielt: neue Kommunikationsformen, neue Technologien und Kommunikationskulturen. Dabei spielen Blogs, Apps, Facebook, Youtube und Twitter eine Rolle – anderseits auch Internet-Meme, Shitstorms und virale Videos.

Leser:innenkommentare (1)

  1. martensen

    das war sogar für mich verständlich

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