Bürger für die Wissenschaft – Wissenschaft für Bürger #citizen science

Bild: André Künzelmann/UFZ
Bild: André Künzelmann/UFZ

Wissenschaftskommunikation läuft heute gern unter dem Begriff Dialog,  dennoch hat sich wenig daran geändert, dass in den meisten Formaten Experten die Welt erklären und die Bürger höchstens Fragen stellen. Das erinnert eher an die Schule als an ein Gespräch zwischen Erwachsenen. Ein Hauptgrund dafür ist das Gefälle in der Expertise: ein Austausch auf Augenhöhe kann deshalb gar nicht im Fachgebiet stattfinden, sondern nur bei  der wirtschaftlichen oder sozialen Bewertung der Forschung. Dass dennoch eine echte Partnerschaft zwischen Laien und Experten möglich ist, von der beide Seiten profitieren, zeigen erfolgreiche Citizen-Science-Projekte, von Galaxy-Zoo über Foldit bis zum Tagfalter-Monitoring. (von Antonia Rötger)

Galaxy-Zoo: Teleskopaufnahmen auf dem Heimcomputer

Für Galaxy-Zoo haben rund 250.000 Laien an ihren Computern mehr als 150 Mio. Teleskop-Aufnahmen ausgewertet und Galaxien nach ihrer Form klassifiziert. Dabei fand die Grundschullehrerin Hanny van Arkel ein neues Objekt, das so interessant war, dass das Hubble-Teleskop eigens darauf ausgerichtet wurde (ESA-Bericht).

Fold.it: Online-Spiel mit Nutzwert

Auch das Computerspiel Foldit erweist sich als sehr wertvoll für die Wissenschaft. In dem gut gemachten Spiel, das mit eigener Musik unterlegt ist, falten die Spieler riesige Eiweiß-Moleküle in eine energetisch optimale Form, eine Aufgabe, die noch viel zu komplex ist, um durch reine Rechenpower bezwungen zu werden. Nur wenige Wochen nach dem Spielstart 2010 lösten Freiwillige das Rätsel um die Struktur eines Proteins, das für die HIV-Forschung wichtig war.  Professionelle Forscher hatten zehn Jahre lang erfolglos daran gearbeitet. Im Januar 2012 (Nature-Bericht_Fold.it) berichtete ein Forschungsteam, dass Foldit-Spieler eine Faltung für ein Enzym gefunden haben, die seine Wirksamkeit um den Faktor 18 steigerte. Social-Media-Komponenten wie eine Facebook-Seite und Chats zum Austausch zwischen Spielern und Experten sind Teil des Fold.it-Konzepts.

Bild: André Künzelmann/UFZ
Bild: André Künzelmann/UFZ

„Klassische“ Citizen-Science-Projekte

Doch nicht nur Computerfans, sondern auch Naturfreunde bringen die Wissenschaft voran, zum Beispiel mit zuverlässigen Beobachtungen in ihrer Region. Rund 1,5 Mio. Stunden haben tausende von Ehrenamtlichen in ganz Europa Vögel und Schmetterlinge beobachtet und diese Daten an ein großes EU-Forschungsprojekt weitergeleitet. Auf dieser Datenbasis konnten die Wissenschaftler dann Anfang 2012 (Bericht dazu in Nature Climate Change) berichten, dass Schmetterlinge und Vögel mit dem Klimawandel nicht mithalten. Die Klimazonen haben sich schneller verschoben, als die Lebensräume bestimmter Tagfalter und vor allem der Vögel, so dass Lebensgemeinschaften aus verschiedenen Tiergruppen auseinandergerissen werden.

Und was motiviert die Aktiven ?

Spannend finde ich nicht nur diese Resultate, sondern auch, wie unterschiedlich die Möglichkeiten sind, als Laie an wissenschaftlichen Problemen mitzuarbeiten. Ob man gern am Computer tüftelt oder lieber in der Natur Insekten zählt, beim Tauchen Korallenriffe untersucht oder aufzeichnet, wie hell der Nachthimmel in der Stadt ist, man kann konkret dazu beitragen, dass bestimmte Probleme erkannt und vielleicht gelöst werden. Das motiviert offensichtlich viele Menschen. In einem Nature-Video berichten Foldit-Spieler außerdem, dass sie beim Spielen neue Seiten an sich entdeckt haben. Suzanne, zeitweilig die weltbeste Spielerin, arbeitet als Verwaltungsangestellte in einem  Reha-Zentrum und erklärt: „Das Spiel gibt mir etwas, das mir der Alltag nicht gegeben hat.“ Und Charlie, ein Techniker, ebenfalls einer der Top-Spieler, mag das Gefühl, beim Tüfteln wirklich etwas Nützliches zu tun.

Die Motivationen der ehrenamtlichen Mitarbeiter unterscheiden sich dabei überhaupt nicht von denen der Wissenschaftler selbst. Sie sind neugierig, haben Freude an ihrer wachsenden Kompetenz, wollen Probleme lösen und natürlich suchen sie auch nach Anerkennung! Im Lauf der Einbindung in solche Projekte verstehen Laien immer besser, wie Wissenschaft funktioniert, berichtet Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, der das Tagfaltermonitoring leitet.

Citizen Science braucht noch einen griffigeren Namen

Citizen Science ist damit ein sehr gutes neues Format, um eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen und die erfolgreichen Citizen Science-Projekte zeigen jetzt schon, wie produktiv die Partnerschaft zwischen Laien und Experten sein kann. Auf die Schnelle geht so etwas jedoch sicher nicht, der Aufbau eines Projekts erfordert viel vorab Überlegung, eine ausgezeichnete Struktur und eine aufwändige Betreuung der Freiwilligen. Und im deutschen Sprachraum fehlt es auch noch an einem griffigen Wort dafür: Denn ob „Citizen Science“ hier wirklich alle Interessierten erreichen kann, ist fraglich. Vorschläge reichen von „Wissenschaft zum Mitmachen“  über „Bürgerwissenschaften“  bis zum programmatischen „Bürger für die Wissenschaft – Wissenschaft für Bürger“. Weitere Vorschläge und Kommentare sind herzlich willkommen.

 

Weitere Weblinks:

https://www.zooniverse.org/  Plattform, aus Galaxy Zoo entstanden, für unterschiedliche CS-Projekte, auch Ancient Lives, Transskribierungen alter Texte, UK

You-Tube-Vortrag (30 Minuten): The Changing Face of Citizen Science, von Arfon Smith, Direktor Zooniverse

 

Beitrag zu Foldit im Nature-Blog

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