Wenn Halogene radikal werden – die besondere Chemie der unteren Atmosphäre der Antarktis

Antarktisches Meereis, Weddellmeer. Foto: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann

Von Jan-Marcus Nasse

Liebe LeserInnen des AtkaXpress,

in diesem Beitrag soll es darum gehen, was wir mit unseren Messungen genau erforschen wollen und warum und weshalb die Neumayer III Station dazu ein sehr guter Standort ist.

Die Polargebiete der Erde sind in vielerlei Hinsicht besonders. Die großen, schneebedeckten Flächen reflektieren Sonnenlicht und spielen damit eine wichtige Rolle im Strahlungs- und Temperaturhaushalt unseres Planeten. Durch die dauerhaft niedrigen Temperaturen konnten sich hier in tausenden von Jahren über Land kilometerdicke Eispanzer bilden, in deren Schichten man in die Klimageschichte der Erde schauen kann, wenn man an geeigneten Stellen Bohrkerne aus dem Eis holt.

Auswirkungen der Halogenchemie in Polargebieten.
Auswirkungen der Halogenchemie in Polargebieten.

Auch die Chemie der Atmosphäre läuft in Polargebieten anders ab. Das liegt neben den tiefen Temperaturen vor allem an den Extremen bei der Sonneneinstrahlung. Im Winter ist es wochenlang dunkel, im Sommer dafür durchgehend hell. Viele chemische Reaktionen in der Atmosphäre laufen photolytisch ab, d.h. Moleküle in der Luft werden durch die im Sonnenlicht enthaltene Energie aufgebrochen und die Bruchstücke reagieren dann weiter. Während der Polarnacht kommen diese Prozesse teilweise oder ganz zum Erliegen und Verbindungen, die unter Sonnenstrahlung nicht stabil wären, können sich ansammeln. Mit der Rückkehr des Sonnenlichts im Frühjahr sind dann auf einmal wieder viele chemische Prozesse möglich, was einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung der Atmosphäre haben kann. Ein Beispiel für so einen vom Licht gestarteten Prozess ist die Chemie des sogenannten Ozonlochs, das sich regelmäßig im Frühjahr mit Rückkehr des Lichts über der Antarktis zu bilden beginnt.

Während sich die Ozonschicht, die schädliche UV Strahlung absorbiert und auch das „Loch“ das sich in ihr bildet, in der Stratosphäre befinden, einer Schicht der Atmosphäre, die in Polargebieten in einer Höhe von etwa 8-10 Kilometern beginnt, erforschen wir die Chemie der Troposphäre. Das ist der Bereich der Atmosphäre zwischen Erdoberfläche und Stratosphäre.

Antarktis, Juni 2013: Pfannkucheneis bei Abendlicht im Südpolarmeer, fotografiert während des Polarstern-Winterexperimentes 2013. Foto: Stefan Hendricks, Alfred-Wegener-Institut
Antarktis, Juni 2013: Pfannkucheneis bei Abendlicht im Südpolarmeer, fotografiert während des Polarstern-Winterexperimentes 2013. Foto: Stefan Hendricks, Alfred-Wegener-Institut

Auch hier kommt es in Polargebieten im Frühjahr regelmäßig zu einem Ozonabbau, was bereits in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, kurz nach Entdeckung des Ozonlochs, zum ersten Mal beobachtet wurde. Recht bald darauf wurden, wie beim „Ozonloch“ in der Stratosphäre, Halogenverbindungen mit dieser bodennahen Ozonzerstörung in Verbindung gebracht.

Halogene, die für die Chemie der Troposphäre wichtig sind, sind Iod, Chlor und Brom. Diese Elemente bilden in der Atmosphäre sehr leicht Radikale. Das sind Atomgruppen (z.B. Brommonoxid – BrO), die aufgrund eines oder mehrerer freier Elektronen sehr reaktiv sind und sich wie Elemente mit anderen Elementen oder Radikalen verbinden. Sind diese Radikale in erhöhten Konzentrationen in der Atmosphäre vorhanden, ändern sich viele chemische Prozesse und Gleichgewichte. Neben dem Abbau des Ozons in der Troposphäre, das als Vorläufermolekül für viele andere Moleküle wichtig ist, kann das ganz verschiedene Auswirkungen haben.

So kann beispielsweise gasförmiges, elementares Quecksilber, das unter anderem bei der Verbrennung von fossilen Energieträgern freigesetzt wird und sich global in der Atmosphäre verteilt, durch Halogenradikale oxidiert werden. Dadurch wird es dann wasserlöslich und kann auf Oberflächen abgelagert werden. Ist diese Oberfläche zum Beispiel Meereis, das im Frühjahr schmilzt, gelangen Quecksilberverbindungen ins Wasser und von dort in die Biosphäre. Entlang der Nahrungskette reichern sie sich in Form giftiger Quecksilberkomplexe an und können dann in Tieren an ihrer Spitze, wie Pinguinen oder Robben, nachgewiesen werden.

Eisberg im Meereis der nördlichen Weddellsee. Foto: Jan Nasse
Eisberg im Meereis der nördlichen Weddellsee. Foto: Jan Nasse

Daneben können die Halogenradikale Auswirkungen auf die Reaktionen einer Vielzahl von Verbindungen wie Methan, Stickoxiden, Kohlenwasserstoffen oder der Schwefelverbindung Dimethylsulfid haben. Letztere ist über den Ozeanen die wichtigste Quelle von Schwefelsäuretröpfchen, auf denen Wasser kondensieren und Wolkentröpfchen bilden kann. Damit könnte die Atmosphärenchemie in Polargebieten sogar einen Einfluss auf die Wolkenbildung und somit das Klima haben, da ja auch Wolken Sonnenstrahlung zurück ins All reflektieren können.

Über die chemischen Prozesse, die zur Freisetzung der verschiedenen Halogene Iod, Brom und Chlor führt, ist unterschiedlich viel bekannt, weshalb auf diesem Gebiet auch weiterhin sehr aktiv geforscht wird. Unsere Untersuchungen hier auf der Neumayer III Station sollen dazu beitragen, offene Fragen zu dieser polaren Atmosphärenchemie zu beantworten.

Bislang am besten verstanden sind die Bromverbindungen, wobei hier Brommonoxid (BrO) besonders wichtig ist. Bei seiner Freisetzung in die Atmosphäre spielt die Oberfläche von Meereis eine zentrale Rolle. Das in zu einem geringen Anteil im Meersalz enthaltene Brom gelangt bei der Bildung von Meereis auf dessen Oberfläche. Das passiert entweder, indem eine hochkonzentrierte Salzlösung, die nicht friert, beim Schließen letzter Kanäle im Eis an die Oberfläche gedrückt wird oder durch ein Überfluten der Eisschollen wenn sehr viel Schnee fällt oder eine Scholle die andere unter Wasser drückt.

Antarktisches Meereis, Weddellmeer. Foto: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann
Antarktisches Meereis, Weddellmeer. Foto: Alfred-Wegener-Institut/Mario Hoppmann

Im Frühjahr, wenn das Sonnenlicht in die Polargebiete zurückkehrt und gleichzeitig die Flächenausdehnung des Meereises seinen Höhepunkt erreicht, kann Brom in kürzester Zeit von den salzigen Oberflächen in die Atmosphäre gelangen. Das passiert in einem sogenannten autokatalytischen Reaktionsprozess – für jedes BrO Molekül, das auf der Oberfläche reagiert, werden letztendlich zwei Bromatome in die Atmosphäre entlassen. Diese können wieder zu BrO oxidiert werden und dann jeweils den gleichen Prozess durchlaufen. Das führt dazu, dass die BrO Konzentration sehr schnell ansteigt, weshalb diese Freisetzung auch als „Bromexplosion“ bezeichnet wird. Die erhöhten Konzentrationen von BrO kommen im Frühjahr sehr regelmäßig vor, halten meist für einige Tage an und treten auf so großen Gebieten auf, dass sie auch von Satelliten aus messbar sind. Offen ist bislang aber, welche Bedingungen genau notwendig sind, um diese „Kettenreaktion“ zu starten.

Die Chemie der anderen beiden Halogene Iod und Chlor ist wesentlich weniger gut verstanden. Das Radikal Iodmonoxid (IO) stammt vermutlich aus der Oxidation von Iodemissionen aus dem Ozean oder von Algen im Ozean – die Unterseite von Meereis ist beispielsweise bereits nach kurzer Zeit bewachsen. Allerdings gibt es sehr widersprüchliche Messungen zur Konzentration Iodmonoxid in der Atmosphäre.

Meereis und die Schelfeiskante in der Nähe der Neumayer III Station. Foto: Jan Nasse
Meereis und die Schelfeiskante in der Nähe der Neumayer III Station. Foto: Jan Nasse

Für den Einfluss von Chlorverbindungen gibt es eine Reihe von Hinweisen, eine direkte Messung von Chlormonoxid in Polargebieten ist aufgrund technischer Schwierigkeiten bei der Messung dieser hochreaktiven Stoffe bislang nicht gelungen.

Mit unserem neuen Messinstrument hoffen wir, zur Klärung der offenen Fragen zur Rolle der Iodverbindungen für die polare Atmosphärenchemie beizutragen, vor allem wollen wir aber Chlormonoxid direkt in der Atmosphäre messen, sofern es dort vorhanden ist.

Mit ihrer Lage in der Nähe der antarktischen Schelfeiskante und damit nicht weit vom Meereis entfernt, ist die Neumayer III Station ideal gelegen, um diese Messungen durchzuführen. Die durchgehende Besetzung mit einem Team von Überwinterinnen und Überwinterern erlaubt es, so eine lange und technische anspruchsvolle Messung durchzuführen, wie wir sie momentan hier aufbauen.

Wie wir die reaktiven Halogene in der Atmosphäre messen und wo wir dazu das neue Instrument aufgebaut haben, werde ich dann in meinem nächsten Beitrag beschreiben.

Bis dahin viele Grüße aus der Antarktis

Jan

Leser:innenkommentare (1)

  1. Augenspiegel 03-16: Weltberühmt - Augenspiegel

    […] sind, schießen sie in der Antarktis grandiose Fotos wie dieses. Mehr davon gibt es drüben im Antarktis-Blog AtkaXpress zusammen mit Erklärungen der Chemie der unteren […]

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